Die Drenai-Saga 6 - Druss-Die Legende
er hätte gegen alle gekämpft.«
»Und wäre gestorben«, warf Varsava ein.
»Wahrscheinlich. Aber darum geht es nicht. Als Druss Cajivak getötet hatte, setzte er sich und verlangte etwas zu trinken. Das tut kein Mann, der noch weitere Kämpfe erwartet. Das hat die Kerle verwirrt, verunsichert. Druss kennt keine Regeln, verstehst du. Und als er zu ihnen hinunterstieg, ließ er die Axt oben liegen. Er wußte, er würde sie nicht brauchen – und sie wußten es auch. Er spielte auf ihnen wie auf einer Harfe. Aber er hat es nicht bewußt getan – es ist seine Natur.«
»Ich kann nicht so sein wie er«, sagte Varsava traurig und dachte an den Friedensstifter und seinen schrecklichen Tod.
»Das können nur wenige«, gab Eskodas ihm recht. »Deswegen wird er zur Legende.«
Lachen dröhnte aus der Halle. »Sieben unterhält die Männer wieder«, sagte Eskodas. »Komm, wir gehen rein und hören zu. Wir können uns betrinken.«
»Ich will mich nicht betrinken. Ich will wieder jung sein. Ich will die Vergangenheit ändern, den Schmutz wegwischen.«
»Morgen ist wieder ein neuer Tag«, sagte Eskodas leise.
»Was soll das heißen?«
»Die Vergangenheit ist tot, Messerkämpfer, die Zukunft weitgehend unbeschrieben. Ich war einmal mit einem reichen Mann auf einem Schiff, als wir in ein Unwetter gerieten. Das Schiff sank. Der reiche Mann raffte soviel Gold zusammen, wie er tragen konnte. Er ertrank. Ich ließ alles zurück, was ich besaß, und überlebte.«
»Glaubst du, meine Schuld wiegt schwerer als sein Gold?«
»Ich glaube, du solltest sie zurücklassen«, sagte Eskodas und stand auf. »Und jetzt komm mit zu Druss – und laß uns trinken.«
»Nein«, sagte Varsava traurig. »Ich will ihn nicht sehen.« Er erhob sich und setzte seinen breiten Lederhut auf. »Richte ihm meine besten Grüße aus und sag ihm … sag ihm …« Seine Stimme brach ab.
»Sag ihm was?«
Varsava schüttelte den Kopf und lächelte reumütig. »Sag ihm auf Wiedersehen.«
Michanek folgte dem jungen Offizier zum Fuß der Mauer, wo beide Männer niederknieten und das Ohr an die Steine hielten. Zuerst konnte Michanek nichts hören; dann aber vernahm er ein Schaben, wie von Riesenratten unter der Erde, und er fluchte leise.
»Das hast du gut gemacht, Cicarin. Sie untergraben die Mauern. Die Frage ist, von wo? Komm mit.« Der junge Offizier folgte dem kräftig gebauten Meisterkämpfer, als Michanek die Stufen zu den Wehrgängen hinaufstieg und sich über die Brüstung lehnte. Vor ihnen befand sich das Hauptlager der ventrischen Armee, die ihre Zelte auf der Ebene vor der Stadt aufgeschlagen hatte. Links davon lag ein niedriger Höhenzug, hinter dem der Fluß verlief. »Ich vermute«, sagte Michanek, »daß sie mit ihrer Arbeit auf der anderen Seite dieser Hügel begonnen haben, etwa auf halber Höhe. Sie werden eine Peilung vorgenommen haben und wissen, daß sie etwa einen halben Meter unterhalb der Mauern auskommen, wenn sie auf gleicher Höhe bleiben.«
»Wie ernst ist es, Herr?« fragte Cicarin nervös.
Michanek lächelte den jungen Mann an. »Ernst genug. Warst du je in einem Bergwerk?«
»Nein, Herr.«
Michanek lachte leise. Natürlich nicht. Der Junge war der jüngste Sohn eines naashanitischen Statthalters, der bis zu dieser Belagerung von Dienern, Barbieren, Kammerdienern und Jagdgehilfen umgeben war. Jeden Morgen legte man ihm seine Kleider zurecht und brachte ihm das Frühstück auf einem Silbertablett, während er noch zwischen Seidenlaken im Bett lag. »Ein Soldat muß viele Dinge beherrschen. Sie unterminieren unsere Mauern, indem sie das Fundament abtragen. Während sie graben, stützen sie die Mauern und die Decken der Gänge mit sehr trockenem Holz ab. Sie werden entlang der Mauer graben, und dann durch die Hügel am Fluß, bis sie etwa … dort herauskommen.« Er deutete auf den höchsten der niedrigen Hügel.
»Das verstehe ich nicht«, sagte Cicarin. »Wenn sie den Tunnel abstützen, was kann dann schon passieren?«
»Das ist leicht zu beantworten. Sobald sie zwei Öffnungen haben, entsteht ein Luftzug. Dann tränken sie das Holz mit Öl, und wenn der Wind richtig steht, setzen sie den Tunnel in Brand. Der Wind treibt die Flammen hindurch, die Decke bricht ein, und wenn sie ihre Arbeit gut gemacht haben, stürzen die Mauern zusammen.«
»Können wir denn nichts tun, um sie aufzuhalten?«
»Nichts. Wir könnten natürlich eine Truppe ausschicken, die die Arbeiter angreift, und vielleicht ein paar Bergleute
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