Die Drenai-Saga 6 - Druss-Die Legende
einem Gegner rechtmäßig die Augen herausdrücken oder auf seinem Genick herumtrampeln, wenn er ihn zu Boden geworfen hatte. Todesfälle waren zwar selten, kamen aber vor, und viele Kämpfer wurden für den Rest ihres Lebens verkrüppelt. Doch Borcha konnte seine besonders tödlichen Fertigkeiten nicht gegen einen unbekannten Jüngling einsetzen. Das würde ja so aussehen, als hätte er Angst vor dem Jungen!
»Sie halten fünfzehn zu eins dagegen, daß er überlebt«, flüsterte sein Helfer.
»Wer handelt für ihn?«
»Der alte Thom.«
»Wieviel hat er gesetzt?«
»Ich werde es herausfinden.« Der Mann verschwand in der Menge.
Der Veranstalter der Wettkämpfe, ein großer, korpulenter Kaufmann namens Bilse, trat in die Arena. »Meine Freunde«, brüllte er, daß seine Doppelkinne wabbelten, »willkommen im Blinden Korsaren. Heute Abend habt ihr die besondere Ehre, die besten Faustkämpfer Mashrapurs zu sehen!«
Borcha verschloß sich vor der dröhnenden Stimme des Mannes. Er hatte das alles schon oft gehört. Vor fünf Jahren war seine Stimmung anders gewesen. Seine Frau und sein Sohn waren an der Ruhr erkrankt, und der junge Borcha hatte seine Arbeit auf den Kais beendet und war den ganzen Weg zum Blinden Korsaren gerannt, um zehn Silberstücke bei einem Aufwärmkampf zu gewinnen. Zu seiner Überraschung hatte er seinen Gegner geschlagen und dessen Platz im Wettkampf eingenommen. In dieser Nacht hatte er, nachdem er sechs Kämpfer besiegt hatte, sechzig Goldraq gewonnen. Als er triumphierend nach Hause kam, fand er seinen Sohn tot und seine Frau im Koma vor. Der beste Arzt Mashrapurs wurde gerufen. Borcha bestand darauf, daß Caria in ein Krankenhaus im reichen Nordviertel gebracht wurde – aber erst, nachdem Borcha sich von all seinem hart verdienten Gold getrennt hatte. Caria kam eine Zeitlang wieder zu Kräften, nur um schließlich an der Schwindsucht zu erkranken.
Die Behandlung für die nächsten zwei Jahre kostete dreihundert Raq.
Und trotzdem starb sie, ihr Körper verwüstet von der Krankheit.
Borchas Bitterkeit war groß, und er ließ seinem Zorn in jedem Kampf freien Lauf, konzentrierte seinen Haß und seine Wut auf den Gegner.
Er hörte, wie sein Name aufgerufen wurde, und hob den rechten Arm. Die Menge jubelte und klatschte.
Jetzt besaß Borcha ein Haus im Nordviertel, eine Villa aus Marmor und den feinsten Hölzern, mit Terrakottaziegeln auf dem Dach. Zwanzig Sklaven standen bereit, seine Wünsche zu erfüllen, und Borchas Investitionen in Sklaven und Seide verschafften ihm ein Einkommen wie das eines großen Kaufmanns. Doch er kämpfte noch immer, getrieben von den Dämonen der Vergangenheit.
Bilse verkündete, daß die Aufwärmkämpfe nun beginnen würden. Borcha schaute zu, wie Grassin in die Arena trat, um sich mit einem stämmigen Hafenarbeiter zu messen. Die Runde dauerte erst ein paar Sekunden, als Grassin den Mann mit einem Aufwärtshaken von den Füßen hob. Borchas Helfer kam zurück. »Sie haben neun Silberstücke gesetzt. Ist das wichtig?«
Borcha schüttelte den Kopf. Wären große Summen im Spiel gewesen, hätte das auf irgendeinen Trick hingedeutet – vielleicht auf einen ausländischen Kämpfer, der verpflichtet wurde, auf einen harten Mann aus einer anderen Stadt, einen Schläger, den man in Mashrapur nicht kannte. Aber nein. Dies hier war lediglich eine Mischung aus Dummheit und Arroganz.
Bilse rief Borchas Namen auf, und der Kämpfer trat in die Arena. Er prüfte den Sand unter seinen Füßen. War er zu dick gestreut, konnte man sich nur schwerfällig bewegen; war er zu dünn, konnte man ausrutschen und das Gleichgewicht verlieren. Aber er war gut gefegt. Zufrieden richtete Borcha den Blick auf den Mann, der die Arena von der anderen Seite betreten hatte.
Er war jung und ein paar Zentimeter kleiner als Borcha, obwohl seine Schultern enorm waren. Sein Brustkasten war mächtig, die Bauchmuskeln gut entwickelt, die Bizeps gewaltig. Borcha beobachtete die Bewegungen des Gegners und sah, daß er einen guten Gleichgewichtssinn besaß und geschmeidig war. Seine Taille war dick, zeigte aber kaum Fett, und sein Nacken war kräftig und gut geschützt von den starken, schwellenden Trapezmuskeln. Borcha richtete den Blick auf das Gesicht des Gegners. Starke Wangenknochen und ein festes Kinn. Die Nase war breit und flach, die Augenbrauen kräftig. Der Meisterkämpfer blickte in die Augen seines Herausforderers: Sie waren hell und zeigten keinerlei Angst. Genaugenommen, dachte
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