Die Drenai-Saga 7 - Die Augen von Alchazzar
hoffentlich segnet. Zeig mir das
lon-tsia.«.
Sieben suchte in seiner Tasche und zog das schwere Silbermedaillon heraus. Der alte Mann hielt es sich vors Gesicht und schloß seine trüben Augen. »Der männliche Kopf ist der von Oshikai Dämonstod, der weibliche der seiner Gemahlin Shul-sen. Die Schrift ist Chiatze. Die wörtliche Übersetzung lautet
Oshka-Shul-sen – zusammen.
Aber eigentlich bedeutet es
im Geist vereint.
Ihre Liebe war sehr groß.«
»Warum sollte jemand sie derartig foltern wollen?« fragte Sieben.
»Das kann ich dir nicht beantworten, junger Mann. Die Wege böser Menschen sind mir ein Rätsel, ich habe kein Verständnis für eine solche Barbarei. Große Magie wurde benutzt, um Shul-sens Geist einzusperren.«
»Habe ich sie befreit?«
»Das weiß ich nicht. Ein Nadirkrieger erzählte mir, daß der Geist Oshikais in den endlosen, dunklen Tälern der Leere nach ihr sucht. Vielleicht hat er sie jetzt gefunden. Ich hoffe es. Aber wie ich schon sagte, die Zauber waren sehr stark.«
Enshima gab Sieben das
lon-tsia
zurück. »Auch darauf liegt ein Zauber«, sagte er.
»Aber kein Fluch, hoffe ich«, erwiderte der Dichter und nahm das Medaillon mit spitzen Fingern entgegen.
»Nein, kein Fluch. Ich glaube, es war ein Spruch des Verbergens. Er hielt es vor den Augen der Menschen verborgen. Du kannst es ruhig tragen, Sieben.«
»Gut. Sag mir – du sagtest, der Mann war Oshikai, und doch lautet der Name darauf Oshka. Ist das eine Abkürzung?«
»Im Chiatze-Alphabet gibt es kein ›i‹. Es wird als kleiner Haken über dem vorhergehenden Buchstaben geschrieben.«
Sieben steckte das Medaillon ein, und Enshima erhob sich. »Möge die Quelle euch beide schützen«, sagte er.
Druss ging davon und bestieg die Stute. »Wir lassen euch die beiden Ponys hier«, sagte er.
»Das ist sehr freundlich.«
Sieben blieb neben dem alten Mann stehen. »Wie viele Verteidiger sind am Schrein?«
»Ich nehme an, es werden weniger als zweihundert sein, wenn die Gothir kommen.«
»Und die Juwelen sind dort?«
»Allerdings, das sind sie.«
Sieben fluchte, dann lächelte er enttäuscht. »Ich hatte wirklich gehofft, sie wären es nicht. Schlachten sind nicht gerade meine Stärke.«
»Für zivilisierte Menschen sind sie das nie«, entgegnete der Priester.
»Warum sind die Juwelen dort verborgen?« fragte Sieben.
Enshima zuckte die Achseln. »Sie wurden vor ein paar hundert Jahren gefertigt und in den Kopf eines steinernen Wolfes eingelassen. Ein Schamane raubte sie. Offensichtlich wollte er die Macht für sich selbst. Er wurde gejagt und versteckte die Juwelen, dann versuchte er, über die Berge zu entkommen. Doch er wurde gefangen, gefoltert und getötet in der Nähe der Stelle, an der du die Gebeine von Shul-sen gefunden hast. Er hat das Versteck der Augen nicht preisgegeben.«
»Die Geschichte ergibt keinen Sinn«, meinte Sieben. »Wenn in den Juwelen eine große Macht steckte, warum hat er sie zurückgelassen? Er hätte diese Macht doch sicher gegen seine Verfolger einsetzen können?«
»Ergeben die Taten von Menschen immer, wie du es nennst, einen Sinn?« konterte der Priester.
»Teils, teils«, meinte Sieben. »Welche Art von Macht besaßen die Augen?«
»Schwierig zu sagen. Vieles würde vom Geschick des Mannes abhängen, der sie benutzt. Sie konnten alle Wunden heilen und jeden Zauber brechen. Man sagt, sie hatten die Kraft zu regenerieren und zu erneuern.«
»Könnte ihre Macht ihn vor seinen Verfolgern verborgen haben?«
»Ja.«
»Warum hat er sie dann nicht benutzt?«
»Ich fürchte, junger Mann, das wird ein Geheimnis bleiben.«
»Ich hasse Geheimnisse«, sagte Sieben. »Du sagtest Erneuerung. Könnten sie Tote wieder aufwecken?«
»Ich meinte die Erneuerung von Gewebe – wie bei tiefen Wunden oder Krankheiten. Es heißt, daß ein alter Krieger wieder jung wurde, nachdem sie ihn heilten. Aber ich glaube, das ist nur ein Märchen.«
Druss stand auf. »Zeit, weiterzuziehen, Dichter«, sagte er.
Eine junge Nadirfrau mit dem Kind auf den Armen kam zu ihnen. Schweigend hielt sie es Sieben hin. Der Dichter wich einen Schritt zurück. »Nein, nein, meine Liebe«, sagte er. »Auch wenn wir den kleinen Kerl sehr mögen, ich glaube, hier hat er es besser, bei seinem eigenen Volk.«
Talisman wanderte über den schmalen, hölzernen Wehrgang der Nordmauer und prüfte die Stabilität des Baus, indem er die alten Balken untersuchte, die das Ganze stützten. Sie wirkten stabil. Die Brüstung hatte
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