Die Drenai-Saga 7 - Die Augen von Alchazzar
konnte ihn im Galopp bergab bewältigen. Und die Lanzenreiter waren geschickt »Wartet hier«, befahl er seinen Männern, dann zog er an den Zügeln. Das Pony stieg und wand sich, doch Lin-tse ließ es den Hang hinuntergaloppieren. Unten riß er heftig an den Zügeln. Hinter ihm war eine Staubwolke aufgestiegen, die sich wie roter Nebel über den Pfad legte. Lin-tse hielt sich nach rechts und ritt vorsichtiger weiter. Abseits des Pfades war der Grund unebener und führte zu einem Felsspalt, der jäh etwa hundert Meter tief abfiel. Er stieg wieder ab und ging zum Rand des Abgrundes, dann arbeitete er sich daran entlang. An der breitesten Stelle betrug der Abstand mindestens achtzehn Meter zwischen den beiden Seiten, aber dort, wo er jetzt kniete, verengte er sich auf nur gut drei Meter. Auf der anderen Seite stieg das Gelände an und war von Geröll übersät. Aber es führte zu einem breiteren Pfad, dem Lin-tse mit den Augen folgte. Er würde ihn auf der Westseite des Tempelsteins nach unten führen.
Er blieb eine Zeitlang sitzen und durchdachte seinen Plan. Dann ritt er zurück zu seinen Männern.
Premian führte seine hundert Lanzenreiter tief in das Land der Roten Felsen. Er war müde, seine Augen blutunterlaufen und verklebt. Die Männer hinter ihm ritten schweigend in Zweierreihen, sie alle waren unrasiert, ihre Wasserrationen um ein Drittel gekürzt. Zum vierten Mal an diesem Vormittag reckte Premian den Arm in die Luft, und die Kolonne hielt an. Der junge Offizier Mikal ritt zu Premian heran. »Was siehst du?« fragte er.
»Nichts. Schick einen Späher in das hochgelegene Gebiet im Nordosten.«
»Wir stehen doch keiner
Armee
gegenüber«, beschwerte sich Mikal. »Wozu all diese Vorsichtsmaßnahmen?«
»Du hast deine Befehle. Führe sie aus«, sagte Premian.
Der junge Mann wurde rot und riß sein Pferd herum. Premian hatte Mikal auf dieser Mission nicht dabeihaben wollen. Der Bursche war noch jung und hitzköpfig. Schlimmer noch, er sah auf die Nadir hinab – selbst nach dem Feuer im Lager. Aber Gargan hatte ihn überstimmt, er mochte Mikal und sah in ihm eine jüngere Ausgabe seiner selbst. Premian wußte, daß die Männer nichts dagegen hatten, langsam in feindliches Gebiet einzudringen. Die Königlichen Lanzenreiter hatten alle in der Vergangenheit schon gegen Nadirkrieger gekämpft, und sie waren in der Mehrzahl so klug, daß sie lieber Unbequemlichkeiten im Sattel erduldeten, als unvorbereitet in einen Hinterhalt zu geraten.
Eins war sicher: der Mann, der den Überfall auf das Lager geplant hatte, hatte noch mehr in Petto. Premian war vorher noch nie in dieser Gegend gewesen, aber er hatte die ausgezeichneten Karten in der Großen Bibliothek in Gulgothir studiert und wußte, daß das Gebiet um den Tempelstein herum reichlich Verstecke bot, aus denen Bogenschützen seine Truppe angreifen oder Felsen auf sie hinuntergeschleudert werden konnten. Unter keinen Umständen würde er seine Männer unbesonnen dem Feind in die Arme treiben. Er beobachtete, wie der Späher bergauf ritt. Der Mann erreichte den Kamm und machte dann eine kreisförmige Armbewegung, um anzuzeigen, daß der Weg frei war. Premian führte seine vier Kompanien weiter. Sein Mund war trocken. Er fischte aus seiner Satteltasche eine kleine Silbermünze, die er in den Mund steckte, um den Speichelfluß anzuregen. Die Männer beobachteten ihn, wenn er trank, würden sie es auch tun. Den Karten nach gab es in dieser Gegend keine größere Wasserstelle, obwohl es einige ausgetrocknete Flußbetten gab. Oft förderte tiefes Graben kleine Sickerstellen zutage, die zumindest den Durst der Pferde stillen konnten. Vielleicht gab es auch versteckte Felstümpel, von denen die Kartographen nichts wußten. Premian hielt Ausschau nach Bienen, die sich niemals allzuweit vom Wasser entfernten. Bislang hatte er noch keine gesehen. Auch hatten die Pferde, die Wasser über große Entfernungen hinweg riechen konnten, noch nicht reagiert, wenn der heiße Wind drehte.
Premian rief seinen Hauptunteroffizier Jomil heran. Der Mann ging auf die Fünfzig zu und war ein Veteran aus Nadirfeldzügen. Er lenkte sein Pferd neben Premian und salutierte knapp. Sein verwittertes Gesicht wirkte jetzt mit grauem Zweitagebart noch älter. »Was meinst du?« fragte er den Mann.
»Sie sind in der Nähe«, antwortete Jomil. »Ich kann sie fast riechen.«
»Graf Larness verlangt Gefangene«, sagte Premian. »Gib das an die Männer weiter.«
»Eine Belohnung wäre
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