Die Drenai-Saga 7 - Die Augen von Alchazzar
Schalen.«
»Welche enthält das Gift?« fragte Talisman.
Chorin-Tsu antwortete nicht, und Talisman betrachtete die Schalen. »Plötzlich bin ich gar nicht mehr durstig.«
»Und doch mußt du trinken«, beharrte Chorin-Tsu.
»Nenn mir den Sinn des Spiels, Alter. Dann entscheide ich.«
»Ich weiß, daß du ein Messer werfen kannst, Talisman, das habe ich gesehen. Aber kannst du auch
denken
? Bist du würdig, dem Einiger zu dienen – ihn unserem Volk zu bringen? Wie du ganz richtig vermutest, enthält eine der Schalen ein tödliches Gift. Die andere enthält nichts weiter als Wasser. Wie willst du wählen?«
»Ich habe ungenügende Informationen«, sagte Talisman.
»Darin irrst du dich.«
Talisman schwieg, sein Verstand arbeitete an dem Problem. Er schloß die Augen und rief sich jedes Wort ins Gedächtnis, das der alte Mann gesagt hatte. Er beugte sich vor, nahm die linke Schale in die Hand und drehte sie, dann die rechte. Beide waren identisch. Er warf einen Blick auf den Teppich und lächelte. Er war mit denselben Symbolen bestickt wie die Zielscheibe. Und unter der linken Schale befand sich das Oval mit der Klaue. Er hob die Schale und kostete das Wasser. Es war süß und kühl.
»Gut, du verfügst über Beobachtungsgabe«, sagte Chorin-Tsu. »Aber ist es nicht erstaunlich, daß du das Messer genau in das Symbol geworfen hast, obwohl du auch zwölf andere hättest treffen können?«
»Woher wußtest du, daß ich es treffen würde?«
»So stand es in den Sternen geschrieben. Nosta Khan wußte es auch. Er wußte es durch seine Gabe, ich hingegen durch meine Studien. Jetzt beantworte mir dies: Was ist der dritte Test?«
Talisman holte tief Luft. »Die Klaue war das Zeichen von Oshikai Dämonstod, das Oval das Symbol seiner Frau, Shul-sen. Als Oshikai Shul-sen heiraten wollte, stellte ihr Vater ihm drei Aufgaben. Die erste betraf seine Fähigkeit im Scharfschießen, die zweite seine Intelligenz und die dritte … erforderte ein Opfer. Oshikai mußte einen Dämon töten, der sein Freund gewesen war. Ich kenne keine Dämonen, Chorin-Tsu.«
»Alle Mythen, mein Junge, verschleiern ihren Zweck mit ihrer Geschichte. Oshikai war ein kühner Mann, der oft in Wut geriet. Der Dämon war lediglich ein Teil von ihm selbst, die wilde und gefährliche Seite seiner Persönlichkeit. Shul-sens Vater wußte dies, und er wollte, daß Oshikai gelobte, sie bis zum Ende seiner Tage zu lieben – ihr nie ein Leid zuzufügen, sie nie für eine andere zur Seite zu schieben.«
»Was hat das mit mir zu tun?«
»Alles.« Chorin-Tsu klatschte in die Hände. Die Tür ging auf, und eine junge Chiatze-Frau trat ein. Sie verbeugte sich vor beiden Männern, dann kniete sie nieder und berührte mit dem Kopf den Boden vor Chorin-Tsus Füßen. Talisman betrachtete sie im Schein der Kerzen. Sie war außergewöhnlich schön, mit rabenschwarzem Haar und großen, mandelförmigen Augen. Sie hatte volle Lippen und eine straffe Gestalt in weißer Seidenbluse und einem langen Satinrock.
»Dies ist Zhusai, meine Enkelin. Es ist mein Wunsch, daß du sie mit auf deine Suche nimmst. Es ist auch der Wunsch Nosta Khans und deines Vaters.«
»Und wenn ich mich weigere?«
»Dann gibt es nichts mehr zu sagen. Du verläßt mein Haus und gehst zurück zu den Zelten deines Volkes.«
»Und meine Suche?«
»Wird ohne meine Hilfe weitergehen.«
»Ich bin noch nicht bereit für eine Gemahlin. Ich habe mein Leben der Rache und dem Tag des Einigers gewidmet. Aber selbst wenn ich an Heirat denken sollte, dann wäre es als Sohn eines Häuptlings mein Recht mir selbst eine Frau zu suchen. Ich würde gewiß wünschen, daß sie eine Nadir ist. Ich habe große Achtung vor den Chiatze – aber sie sind nicht mein Volk.«
Chorin-Tsu beugte sich vor. »Anführer haben keine Rechte, das ist eins der großen Geheimnisse der Führerschaft. Aber du irrst, junger Mann. Zhusai soll nicht deine Gemahlin sein. Sie ist dem Einiger versprochen, sie wird die Shul-sen seines Oshikai sein.«
»Dann verstehe ich nicht«, gestand Talisman erleichtert. »Welches Opfer verlangst du von mir?«
»Nimmst du Zhusai in deine Obhut? Wirst du sie mit deinem Leben beschützen?«
»Wenn es notwendig sein sollte, so werde ich es tun«, versprach Talisman. »Wo ist nun das Opfer?«
»Vielleicht gibt es keines. Zhusai, zeig unserem Gast sein Zimmer.« Die junge Frau verbeugte sich erneut, dann erhob sie sich lautlos und führte Talisman aus dem Raum.
Am Ende eines kurzen Flures öffnete
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