Die Drenai-Saga 7 - Die Augen von Alchazzar
»Wann kann ich den … Herrn Klay sehen?«
»In welcher Angelegenheit?« wollte Carmol wissen.
»In gar keiner Angelegenheit«, antwortete Keils. »Ich habe keine Angelegenheiten. Ich bin … ein Bettler«, verkündete er. Er dachte, das klang besser als Dieb oder Taschendieb.
»Dann bist du also gekommen, um zu betteln?«
»Ja, um zu betteln. Wann kann ich ihn sehen?«
»Er ist sehr beschäftigt. Aber ich kann dir ein Geldstück oder zwei geben … und noch etwas zu essen.«
»Ich will kein Geld …« Er brach stirnrunzelnd ab. »Also, ich will schon Geld von dir, aber nicht von ihm. Nicht von Herrn Klay.«
»Was willst du dann also?« fragte Carmol und setzte sich auf die Bank.
Keils beugte sich vor. Es konnte sicher nicht schaden, dem Diener des Herrn Klay von seiner Mission zu erzählen? Der alte Mann erwies sich vielleicht sogar als Verbündeter. »Ich möchte, daß er meiner Mutter die Hand auflegt.«
Der alte Mann lachte plötzlich, was Keils verlegen machte. Er fand das gar nicht zum Lachen, seine Augen wurden schmal. Carmol sah seinen Ausdruck, und sein Lächeln verblaßte. »Es tut mir leid, mein Junge. Du hast mich nur überrascht. Sag mir, warum bittest du um … eine solche Tat von meinem Herrn?«
»Weil ich die Wahrheit
kenne«,
sagte Keils, seine Stimme sank zu einem Flüstern herab. »Ich habe es niemandem erzählt, das Geheimnis ist bei mir sicher. Aber ich dachte, er könnte ein klein wenig Magie für meine Mama opfern. Er könnte den Klumpen wegmachen. Dann könnte sie wieder gehen und lachen. Und sie könnte arbeiten und Essen kaufen.«
Jetzt lächelte Carmol nicht. Sanft legte er Keils die Hand auf die Schulter. »Du glaubst, daß der Herr Klay über Magie verfügt?«
»Er ist ein Gott«, flüsterte Keils. Der alte Mann schwieg einen Augenblick, aber Keils beobachtete ihn angespannt. Sein Gesicht wurde weich, und er sah besorgt aus. »Ich schwöre, ich werde es niemandem sagen«, erklärte der Junge.
»Und wie bist du zu dieser Erkenntnis gekommen, junger Keils?«
»Ich sah ihn das Wunder vollbringen – im letzten Jahr war es. Meine Mama hatte einen ihrer … Freunde bei sich, also hatte ich mich am Eingang unserer Gasse untergestellt. Es war ein Gewitter, mit heftigen Blitzen. Ich sah einen aufzucken, und dann hörte ich das Krachen, als er ganz in der Nähe einschlug. Ein Mensch kam an mir vorbeigeflogen – und krachte gegen die Mauer. Ich lief hin. Es war die Lange Tess, sie ist die Partnerin meiner Mama. Sie mußte gerade nach Hause gekommen sein. Der Blitz traf sie, ehrlich. Hat sie auf der Stelle umgebracht. Ich fühlte an ihrem Hals und konnte keinen Puls spüren. Ich legte mein Ohr an ihre Brust aber das Herz schlug nicht mehr. Dann kam eine Kutsche vorbei. Ich rannte schnell zurück ins Dunkle – aus Angst sie würden denken, ich hätte sie umgebracht Dann sprang der Herr Klay aus der Kutsche und ging zu ihr. Er fühlt den Puls, lauschte nach ihrem Herzschlag. Und dann hat er es getan.« Keils Atem ging rascher bei der Erinnerung, sein Herz schlug schneller.
»Was hat er getan?« fragte Carmol.
»Er beugte sich vor und küßte sie! Ich wollte meinen Augen nicht trauen. Er küßte eine tote Frau. Voll auf die Lippen – wie ein Liebhaber. Und weißt du, was dann passierte?«
»Erzähl es mir.«
»Sie stöhnte – und kehrte von den Toten zurück. Und da wußte ich es. Ich sagte niemandem etwas, nicht einmal Tess. Sie hatte Verbrennungen an den Füßen, und einer ihrer Ohrringe war mit ihrer Haut verschmolzen. Aber nicht einmal sie weiß, daß sie tot war.«
Der alte Mann seufzte. »Eine faszinierende Geschichte, mein Junge. Und ich denke, du solltest mit Herrn Klay sprechen. Setz dich her, und ich sehe, ob er dir ein oder zwei Minuten schenken kann. Dort steht Obst. Nimm dir, was du möchtest.«
Keils brauchte keine zweite Aufforderung. Noch bevor Carmol den Raum verlassen hatte, hatte der Junge sich zwei reife Orangen und ein paar Bananen geschnappt. Er verschlang sie in Windeseile und spülte sie mit Fruchtsaft herunter, den er in einem Tonkrug entdeckte.
Das war der Himmel! Gutes Essen – und ein Wunder für seine Mama!
So war es richtig. Keils setzte sich an den warmen Herd und überlegte, was er zu dem Gott sagen würde, wie er ihm erklären konnte, daß seine Mutter krank war und nicht arbeiten konnte. Sie war nicht faul. Als der erste Klumpen auf ihrer Brust auftauchte, hatte sie weiter auf der Kurzen Straße gearbeitet, obwohl ihr oft so schwindlig
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