Die Drenai-Saga 7 - Die Augen von Alchazzar
wurde, daß sie während der Arbeit ohnmächtig wurde. Als der Klumpen härter und unansehnlicher wurde, hatten sich einige ihrer Kunden von ihr abgewandt, und sie war gezwungen, länger zu arbeiten, und oft in den Gassen, wo das Geschäft schnell und im Dunkeln ablief. Aber dann erschien der zweite Klumpen seitlich am Hals – so groß wie eine der Apfelsinen, die er gerade gegessen hatte. Da wollte niemand mehr für ihre Gunst bezahlen. Auch hatte sich ihre Farbe geändert, jetzt war ihr Gesicht geisterhaft grau mit dunklen Ringen unter den Augen. Und so dünn! Schrecklich dünn, trotz all des Essens, das Keils für sie stahl.
All das wollte er dem Gott erzählen – und Er würde es wieder richten.
Nicht wie dieser Arzt, den die Lange Tess bezahlt hatte. Fünf Silbermünzen hatte er genommen – für nichts! O ja, er hatte die Klumpen betastet und war mit den Händen über ihren Körper gefahren. Dreckiger Hund! Dann hatte er mit Tess geflüstert und oft den Kopf geschüttelt. Danach hatte Tess geweint und mit Mama geredet. Mama hatte auch geweint.
Keils legte sich neben das Feuer und döste.
Plötzlich erwachte er und sah, wie der Gott sich über ihn beugte. »Du bist müde, mein Junge«, sagte der Gott. »Du kannst schlafen, wenn du willst.«
»Nein, Herr«, sagte Keils und ging auf die Knie. »Du mußt mit mir kommen! Meine Mama ist krank.«
Klay nickte, dann seufzte er. »Carmol hat mir erzählt, was du gesehen hast. Das war kein Wunder, Keils. Ein Freund von mir, ein Arzt, hat mir den Trick verraten. Von dem Schock durch den Blitzschlag ist ihr Herz stehengeblieben. Ich blies ihr Luft in die Lungen und massierte ihr dann das Herz. Das war keine Magie, ich schwöre es.«
»Sie war tot! Du hast sie ins Leben zurückgeholt!«
»Aber ohne Magie.«
»Dann wirst du mir nicht helfen?«
Klay nickte. »Ich werde tun, was ich kann, Keils. Carmol ist den Arzt holen gegangen, von dem ich sprach. Wenn er wiederkommt, gehen wir zu deiner Mutter und sehen, was wir tun können.«
Keils saß still in einer Ecke, als der grauhaarige Arzt Loira untersuchte. Der alte Mann drückte sanft auf die Klumpen, dann tastete er ihren Bauch, Rücken und Lenden ab. Die ganze Zeit stöhnte die sterbende Frau halb im Delirium, nur der Schmerz hielt sie bei Bewußtsein. Ihr rotes Haar war feucht und strähnig, das blasse Gesicht glänzte vor Schweiß. Aber in Keils’ Augen war sie noch immer schön. Er hörte zu, als der Arzt mit Klay sprach, aber er verstand kein Wort der Unterhaltung. Aber das brauchte er auch nicht. Der Grabeston verriet ihm alles. Sie starb – und es gab keinen Gott, der ihr die Hände auflegte. Zorn stieg Keils bitter in die Kehle. Er schluckte ihn herunter, als heiße Tränen über seine Wangen rannen und schmutzige Streifen hinterließen. Heftig blinzelnd, versuchte er der Tränen Herr zu werden. Die Lange Tess stand in der anderen Ecke, die dünnen Arme verschränkt. Sie trug noch immer das zerlumpte rote Kleid, das ihren Beruf verriet.
»Wir müssen sie ins Hospiz bringen«, hörte er den Arzt sagen.
»Was ist das?« fragte Keils und stand auf.
Der alte Arzt kniete vor ihm nieder. »Das ist ein Ort, für den der Herr Klay bezahlt hat, wo Menschen mit großen Schmerzen ihr … wo sie bleiben können, wenn ihre Krankheit sich nicht heilen läßt. Dort haben wir Medizin, die die Schmerzen nimmt. Du kannst mitkommen, junger Mann. Du kannst bei ihr sitzen.«
»Sie wird sterben, nicht wahr?«
Klay legte eine Hand auf Keils’ magere Schulter. »Ja, mein Junge. Wir können nichts mehr tun. Eduse ist der beste Arzt in Gulgothir. Niemand weiß mehr als er.«
»Wir können nicht dafür bezahlen«, sagte Keils bitter.
»Es ist schon bezahlt – von Herrn Klay«, erwiderte Eduse. »Es wurde gebaut für Menschen, die nichts haben. Verstehst du? Klay …«
»Er braucht keine Belehrung über mich, mein Freund. Ich bin weit weniger, als er geglaubt hat und keine Worte können ihm seine Enttäuschung nehmen.« Er beugte sich über das Bett und hob die Frau hoch, so daß ihr Kopf an seiner Brust ruhte.
Wieder stöhnte die kranke Frau, und Tess ging zu ihr und strich ihr über den Kopf. »Es ist alles gut, mein Täubchen. Wir kümmern uns um dich. Tess ist da, Loira. Und Keils.«
Klay trug Loira zu der schwarzen Kutsche und öffnete die Tür. Keils und Tess kletterten hinein. Klay legte die jetzt bewußtlose Frau auf einen gepolsterten Sitz und setzte sich neben sie. Der Arzt Eduse kletterte neben den Kutscher.
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