Die Drenai-Saga 7 - Die Augen von Alchazzar
felsigen Hügelzug einige Kilometer im Osten. »Dort gibt es einige Felsentümpel.«
»Jawohl«, antwortete Marlham, ein mürrischer, bärtiger Karriereoffizier, der kurz vor seiner zwangsweisen Pensionierung stand.
»Schickt einen Trupp Späher aus«, befahl Gargan. »Sie sollen jeden Nadir töten, den sie sehen.«
»Jawohl, General.«
Gargan wandte sich an den zweiten Offizier, einen gutaussehenden jungen Mann mit klaren, blauen Augen. »Du, Premian, nimmst vier Kompanien und durchkämmst die Marschen. Keine Gefangenen. Alle Nadir sind als feindlich einzustufen. Verstanden?«
»Jawohl, Graf Gargan.« Der Junge hatte noch nicht gelernt, seine Gefühle zu verbergen.
»Ich habe dich zu dieser Einheit versetzen lassen«, sagte Gargan. »Weißt du warum?«
»Nein, Graf Gargan.«
»Weil du zu weich bist, mein Junge«, fuhr der General ihn an. »Ich habe dich an der Akademie gesehen. Der Stahl in dir – falls da überhaupt Stahl ist – ist noch nicht gehärtet. Aber das wird er bei diesem Feldzug. Ich habe vor, die Steppe mit Nadirblut zu tränken.« Gargan gab seinem Hengst die Sporen und galoppierte den Hügel hinunter.
»Achte auf dich, mein Junge«, sagte Marlham. »Der Mann haßt dich.«
»Er ist ein Tier«, erwiderte Premian. »Bösartig und gemein.«
»Alles«, gab Marlham ihm recht. »Er war immer schon ein harter Mann, aber als sein Sohn verschwand … nun, das hat irgendetwas in ihm zerbrochen. Seitdem ist er nicht mehr derselbe. Du warst damals dort, nicht wahr?«
»Ja. Es war eine häßliche Geschichte«, antwortete Premian. »Es gab eine Untersuchung zum Tod eines Kadetten, der aus Argos Fenster stürzte. In der Nacht vor der Untersuchung verschwand Argo. Wir haben überall gesucht, seine Kleider waren fort, ebenso ein Rucksack. Wir dachten zuerst, er hätte Angst, daß man ihn am Tode des Jungen für mitschuldig hielte. Aber das war lächerlich, denn Gargan hätte ihn geschützt.«
»Was glaubst du, was geschehen ist?«
»Finsteres ist geschehen«, meinte Premian. Mit einem Ruck der Zügel ritt er davon zum Ende der Reihe und winkte seine Unteroffiziere zu sich heran. Rasch erzählte er ihnen von ihrem neuen Befehl. Die Neuigkeit wurde von den zweihundert Männern unter seinem Befehl erleichtert begrüßt, denn es bedeutete, daß sie nicht mehr den Staub der Kolonne schlucken mußten.
Während die Männer mit Proviant ausgestattet wurden, dachte Premian zurück an seine letzten Tage in der Akademie, in jenem Sommer vor zwei Jahren. Nur Okai war von dem ursprünglichen Kontingent an Nadir übriggeblieben, nachdem seine beiden Kameraden nach Hause geschickt wurden, weil sie die härtesten Prüfungen des Vorexamens nicht bestanden. Ihr Scheitern hatte Premian Sorgen gemacht, denn er hatte mit ihnen gearbeitet und wußte, daß sie die Themen ebensogut beherrschten wie er selbst. Und er hatte mit Auszeichnung bestanden. Nur Okai war übriggeblieben – ein so brillanter Student, daß er einfach nicht versagen konnte. Doch selbst er hatte nur knapp bestanden.
Premian hatte seine Bedenken dem ältesten – und besten – der Tutoren vorgetragen, einem ehemaligen Offizier namens Fanion. Spät in der Nacht, im Arbeitszimmer des alten Mannes, hatte er Fanion erzählt, er glaubte, die Jungen wären ungerechtfertigt entlassen worden.
»Wir sprechen viel von Ehre«, sagte Fanion voll Kummer, »aber in Wirklichkeit gibt es nicht allzuviel davon. So war es immer schon. Ich durfte an der Beurteilung ihrer Arbeiten nicht teilnehmen, Graf Larness und zwei seiner Freunde haben sie benotet. Aber ich fürchte, du hast recht, Premian. Sowohl Dalsh-chin als auch Lin-tse waren mehr als fähige Schüler.«
»Okai durfte bestehen. Warum?« fragte Premian.
»Er ist eine Ausnahmeerscheinung, der Junge. Aber man wird ihm nicht erlauben, den Abschluß zu machen, sie werden einen Weg finden, ihn herunterzustufen.«
»Können wir ihm denn gar nicht helfen?«
»Sag mir zuerst, Premian, warum du das willst. Ihr seid doch keine Freunde.«
»Mein Vater hat mich gelehrt, Ungerechtigkeit zu verabscheuen«, antwortete Premian. »Ist das nicht genug?«
»Allerdings. Also schön, ich werde dir helfen.«
Am Tag des Abschlußexamens bekam jeder Kadett nach Betreten des Prüfungszimmers eine kleine numerierte Scheibe, die aus einem schwarzen Samtbeutel gezogen wurde, der vom obersten Vertrauensschüler gehalten wurde, einem großen, spindeldürren Jungen namens Jashin. Jede Scheibe war in Papier gewickelt, damit Jashin die
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