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Die dritte Jungfrau

Die dritte Jungfrau

Titel: Die dritte Jungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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darf man nicht parfümieren.«
    Nein, der feine Geruch kam nicht von Tom. Er kam aus dem Bett. Adamsberg sperrte seine Nasenlöcher in der Dunkelheit auf, genau wie der braunhaarige Steinbock, wenn er auf der Hut war. Er kannte diesen Duft. Es war nicht der von Camille.
    Ganz vorsichtig stand er auf und legte Tom in sein Bett. Dann lief er durchs Zimmer und schnupperte. Der Duft war lokalisiert, er hauste in der Bettwäsche. Ein Kerl, verdammt, hier hatte ein Kerl geschlafen und seinen Duft dagelassen.
    Ja und? dachte er und schaltete das Licht an. In wie viele Betten wie vieler Frauen bist du denn geschlüpft, bevor Camille darüber zur Kameradin wurde? Er riß die Laken hoch und betrachtete sie, als würde es seinen Unmut mindern, wenn er mehr über den Eindringling erfuhr. Dann setzte er sich auf das zerwühlte Bett und atmete tief durch. All das war unwichtig. Ein Kerl mehr oder weniger, was machte das schon? Halb so schlimm. Kein Grund, sich zu ereifern. Seelenverrenkungen à la Veyrenc waren nichts für ihn. Adamsberg wußte, sie waren von kurzer Dauer, er wartete, daß sie vorübergingen, während er in den Schutz seiner privaten Ufer zurückkehrte, dorthin, wo nichts und niemand ihn erreichen konnten.
    Gefaßt legte er das Bettzeug zusammen, zog es von allen Seiten ordentlich gerade und strich auch die Kopfkissen glatt, wobei er nicht genau wußte, ob er mit dieser Handbewegung den Kerl oder seine schon verflogene Wut wegwischte. Auf dem Bezug lagen ein paar Haare, die er absammelte und unter der Lampe in Augenschein nahm. Kurze Haare, Männerhaare. Zwei schwarze und ein rotes. Jäh schlossen sich seine Finger zur Faust.
    Heftig atmend lief er von einer Wand zur anderen, Bilder von Veyrenc schossen ihm wie eine Flut in den Kopf. Eine Woge von Schlamm, in der er in wildem Durcheinander die Visage des Lieutenant in all ihren Erscheinungsformen vorbeiziehen sah, Veyrenc, wie er in diesem verdammten Verschlag saß, seine schweigsame Visage, seine provozierende Visage, seine verseschmiedende Visage, seine verstockte Béarner-Visage. Gottverdammter Dreckskerl von Béarner. Danglard hatte recht gehabt, der Bergmensch war gefährlich, er hatte Camille in sein Kielwasser gezogen. Er war hergekommen, um Rache zu nehmen, und in diesem Bett hatte er damit begonnen. Thomas schrie auf im Schlaf, und Adamsberg legte ihm seine Hand auf den Kopf.
    »Das war der rothaarige Steinbock, mein Kleiner«, flüsterte er. »Er hat angegriffen und die Frau des andern mitgenommen. Und das heißt Krieg, Tom.«
     
    Zwei Stunden lang blieb Adamsberg regungslos am Bett seines Sohnes sitzen, so lange, bis Camille zurückkam. Kaum noch Kamerad, schon an der Grenze zur Unhöflichkeit, verabschiedete er sich flüchtig und rannte in den Regen hinaus. Am Steuer dann ging er seinen Plan nochmals durch. Es war nichts dagegen einzuwenden, alles mußte stillschweigend passieren, mußte wirkungsvoll sein. Auf einen Dreckskerl gehörte ein Oberdreckskerl. Im Schein der Deckenlampe sah er auf seine Uhren und nickte. Morgen um siebzehn Uhr wäre seine Anlage installiert.

35
    Lieutenant Hélène Froissy, die zurückhaltend, schweigsam und sanftmütig war bis zur Anonymität und ein für ihren bemerkenswerten Körper eher banales Gesicht besaß, hatte drei erkennbare Eigenheiten. Einerseits futterte sie von morgens bis abends die verschiedensten Sachen in sich rein, ohne dick zu werden, andererseits malte sie Aquarelle, das einzig Phantasievolle, das man von ihr kannte. Adamsberg, der während der Kolloquien ganze Notizbücher vollzeichnete, hatte über ein Jahr gebraucht, um sich für Froissys kleine Werke zu interessieren. Im Frühjahr zuvor hatte er eines Nachts auf der Suche nach etwas Eßbarem den Schrank des Lieutenant durchwühlt. Froissys Büro galt allen als Lebensmittelsicherheitsreserve, wo man die verschiedensten Eßwaren fand: frisches Obst und Dörrfrüchte, Kekse, Milchprodukte, Müsliriegel, Pastete, Lokumwürfel, all dies war im Falle einer unvorhergesehenen Hungerattacke stets vorrätig. Froissy wußte von diesen Plünderungen und füllte dementsprechend auf. Bei seinen Nachforschungen war Adamsberg auch auf einen Stapel Aquarelle gestoßen, hatte ihn durchgeblättert und war betroffen von der Düsternis der Themen und Farben, er sah nur betrübte Gestalten und trostlose Landschaften unter hoffnungslosen Himmeln. Seither tauschten sie zwischen den Büros gelegentlich wortlos ein paar Zeichnungen aus, die sie in Berichte steckten.

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