Die dritte Sünde (German Edition)
auch seine Wahlsiege bedingt hat. Es muss also darum gehen, ihn zu einem Verzicht zu bewegen, nicht darum, ihn in der Wählergunst zu diskreditieren, denn das wird kaum gelingen«, begann Mr Armindale, der Havisham gegenüber an dessen großem Schreibtisch Platz genommen hatte. »Wie Sie sicher wissen, ist er ein Fabrikant aus Trowbridge [30] . Er besitzt eine der fünfzehn Fabriken in der Stadt und hält Anteile an einer Kohlemine. Seine Arbeiter bezahlt er, wie es aussieht, sogar recht gut und hat kürzlich sogar neue Wohnungen für sie bauen lassen. Allerdings prosperiert sein Geschäft wohl nicht allzu sehr. Die Konkurrenz aus dem Norden, die neue Maschinen einsetzt und auch die Löhne der Arbeiter gesenkt hat, drückt gewaltig. Baker sollte neu investieren, hat aber nicht das Kapital dafür. Er hat für seine Produktion sogar teilweise noch Dampfmaschinen nach dem Watt-Typ laufen.« Armindale räusperte sich und breitete seine Unterlagen auf Havishams gewaltigem Schreibtisch aus. »Ich habe mir über einen Freund eine Bankauskunft über die Vermögenslage unseres geschätzten Mr Baker besorgt.«
Havisham hob erstaunt eine Augenbraue. »Das ist so einfach möglich?«
Armindale lächelte schmal. »Sir, für Geld bekommt man im London unserer Tage jede gewünschte Information.«
»Tatsächlich?«, meinte sein Gegenüber trocken. »Mr Armindale, ich denke, Sie sind ein Mann, den man respektieren sollte.«
Armindale kommentierte diese Bemerkung nicht, sondern widmete sich den Schriftstücken vor ihm und ließ den Zeigefinger seiner schmalen, gebräunten Hand über einige Zahlenkolonnen wandern. »Nun, aus diesen Unterlagen geht hervor, dass Mr Baker spätestens seit dem Bau der Arbeitersiedlungen seine Geldreserven angegriffen hat. Sie sind noch nicht aufgebraucht, aber für eine Restrukturierung und maschinelle Neuausstattung seiner Fabrik wird es nicht reichen. Er muss aber modernisieren, da seine Kohlemine auch weniger fördert. Sie ist wohl in absehbarer Zeit erschöpft.«
»Ah ja, das ist allerdings nötig! Die Niederdruckdampfmaschinen nach Watt brauchen ja bis zu vier Mal soviel Kohle wie die Hochdruckdampfmaschinen neueren Typs«, stimmte Havisham zu. »Wenn er nicht modernisiert, fressen ihn die Produktionskosten auf.«
Armindale nickte. »Darin gebe ich Ihnen recht, Mr Havisham.«
»Nun«, meinte Havisham und strich sich gedankenvoll über sein glattrasiertes Kinn, »das wäre sicher eine Möglichkeit einzuhaken. Ich könnte ihn aufsuchen und ihm vorschlagen, seine Fabrik mit neuen Maschinen auszustatten – per Lizenz, versteht sich. Dabei mache ich sogar noch ein Geschäft, da ich ja selbst zusammen mit Witherton in Manchester solche Dampfmaschinen produziere. Allerdings ist der neue Typ noch nicht ganz ausgereift. Die ganze Sache könnte nicht mehr rechtzeitig vor den Neuwahlen zum Tragen kommen. Die sind ja schon nächstes Jahr im Herbst.« Er blickte seinen Gesprächspartner scharf an. »Eine andere Möglichkeit, eine, die schneller zum Ziel führt, haben Sie nicht vorzuschlagen?«
Armindale grinste. »Sir, bisher besprachen wir die Möglichkeit, die ein Gentleman wählen würde. Es gibt aber auch noch andere Wege.«
»Ich höre!«
»Ich habe mich umgehört unter den Whigs, und da gibt es zwei Umstände, von denen Mr Baker sicher nicht so gern hätte, wenn diese einer breiteren Öffentlichkeit bekannt würden.«
Havisham lächelte breit. »Es hätte mich auch Wunder genommen, wenn Mr Baker nicht doch das eine oder andere kleine Geheimnis hätte.«
»Oh, es sind nicht direkt seine Geheimnisse, vielmehr die seiner nahen Verwandten. Mr Baker hat Nachkommen, Sir, und wie es der Zufall will, sind nicht alle so wohlgeraten und gesittet wie der Vater.«
»Ach?«, bemerkte Havisham süffisant. »Das soll ja, so habe ich mir sagen lassen, in den besten Familien vorkommen.«
»Bis vor Kurzem«, fuhr Armindale ungerührt fort, »waren solche pikanten Geheimnisse auch noch nicht so ein Problem, da schließlich selbst unser höchster Repräsentant, der König, alles andere als einen christlichen Lebenswandel führte. Aber nun, seit Victoria herrscht, weht ein anderer Wind in London. Ich denke, dass es selbst den bürgerlichen Vertretern des Unterhauses nicht recht sein kann, wenn allzu viel Intimes über das eigene oder das Leben der nächsten Anverwandten bekannt werden sollte. Die Königin goutiert das nicht, wird berichtet, und da gerät man doch schnell ins gesellschaftliche Abseits.« Armindale
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