Die dritte Sünde (German Edition)
Havisham. Ich bitte Sie, die Company ist so mächtig wie nie zuvor.«
Nun wiegte Havisham nachdenklich das Haupt. »Das glaube ich nicht. Es gibt tatsächlich Bestrebungen im Parlament, die Macht der East-India-Company deutlich zu beschneiden, was auch sicher mit den zunehmenden Unruhen in Indien zusammenhängt. Das Parlament sorgt sich um die Kolonien des Empires. Ich fürchte, wenigstens die militärische Hoheit, die ihr zugestanden wurde, wird sie abgeben müssen über kurz oder lang.«
»Das wird meinen Sohn nicht gerade freuen. Dann müsste er ja nach Hause zurückkehren. Aber ich glaube nicht, dass es je soweit kommen wird. Die Company ist fast ein Staat im Staate.«
»Immer noch keine Aussöhnung mit Ihrem Sohn in Sicht?«, fragte Havisham plötzlich mit einem etwas ungewöhnlichen Interesse.
Der Hausherr ruckte unwillig mit dem Kopf. Daniel war ein unerquickliches Thema. Trotz seiner Starrsinnigkeit schwante ihm, dass er nicht ganz unschuldig an dem Zerwürfnis mit seinem Erben war. Aber Einlenken oder eine wie auch immer geartete Entschuldigung? Das kam überhaupt nicht infrage! Sollte doch Daniel den ersten Schritt machen. Schließlich war er es gewesen, der ausfällig geworden war. Und hatten die erfolgreichen Börsengeschäfte nicht ausreichend bewiesen, dass er, der Vater, den besseren Riecher gehabt hatte als sein Sohn? Die Alternative, in den florierenden Opiumhandel von Bengalen nach China einzusteigen, den die Briten seit einigen Jahren überaus erfolgreich betrieben, schien ihm bei den gegebenen politischen Entwicklungen im Fernen Osten jedenfalls weniger lukrativ, obwohl ihn Havishams Analysen verunsicherten. Doch dann wischte er seine Bedenken beiseite. Er würde weiter auf die bisher erfolgreichen, wenn auch riskanten Spekulationen an der Börse setzen. Er war schließlich selbst gewieft genug dafür. Außerdem war ihm von anderer Seite ein äußerst lukratives Geschäft – der Kauf einer Diamantenmine im Punjab – angeboten worden, von dem er sich viel und vor allem schnelles Geld versprach und in das er voller Enthusiasmus eingestiegen war. Dabei hatte er sich finanziell etwas übernommen, hoffte aber, in kürzester Zeit das erhoffte Kapital aus der Mine zu schlagen. Nur um Havisham, der in wenigen Jahren von einem Kaufmann mittleren Ranges zu einem der reichsten Männer Wiltshires aufgestiegen war, nicht zu verärgern, lenkte er etwas ein.
»Nun, ich könnte mir vorstellen, mit einer kleinen Summe zunächst einmal vorsichtig einzusteigen und dann die nächsten Monate abzuwarten. Sollten sich meine Bedenken hinsichtlich der Entwicklung in China zerstreuen, können Sie mit einem größeren Engagement meinerseits rechnen, Havisham.«
Der Gast schien nicht ganz zufrieden, erkannte aber, dass er für heute nicht mehr ausrichten konnte.
Sein Blick wanderte zu den beiden ungleichen Mädchen auf der Sitzbank. Die Tochter von Francis de Burgh war inzwischen ein recht hübsches Ding geworden, das kokett mit seinen Reizen zu spielen wusste. Sie war nun alt genug – alt genug für eine Ehe. Ob er jetzt seinen seit längerer Zeit gehegten Plan in Angriff nehmen sollte? Immerhin war dieser Plan ja der wahre Grund dafür, dass er wieder und wieder de Burgh aufsuchte, um ihn geschäftlich zu beraten und vor dem Allerschlimmsten zu bewahren. Unfähig wie dieser war, schaffte er es wohl eines Tages noch, Whitefell zu verlieren, wenn man ihn nicht daran hinderte. Havisham ließ seinen prüfenden Blick eingehender über die eng geschnürten Rundungen der jungen Frau gleiten. Dieses Präsent auszuwickeln würde ihm sogar eine gewisse Freude bereiten. Er musste nur noch eine passende Gelegenheit abwarten, dann würde er de Burgh um die Hand seiner Tochter bitten, wie er es sich vorgenommen hatte.
Mr de Burgh, der den interessierten Blick seines Gesprächspartners bemerkt hatte, sagte: »Ich habe übrigens beschlossen, Isobel in diesem Sommer der Gesellschaft zu präsentieren. Lady Branford schlug mir kürzlich vor, sie zu den Krönungsfeierlichkeiten Victorias im Sommer mitzunehmen. Das Parlament hat sich jetzt wohl auf den 28. Juni als Krönungstag geeinigt. Reichlich spät, meiner Meinung nach, schließlich ist sie ja jetzt schon seit Sommer vergangenen Jahres Regentin, aber dafür soll es ja ein echtes Spektakel werden.«
»Sie werden doch wohl auch zugegen sein?«, fragte Havisham und lächelte zufrieden. Seine Einschätzung war also richtig gewesen. Die günstige Gelegenheit rückte in greifbare
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