Die dritte Sünde (German Edition)
Nähe.
»Selbstverständlich werde ich meine Tochter nach London begleiten, zusammen mit dem Earl of Branford und seiner Familie. Wir werden im Stadthaus des Earls, der ja auch einen Sitz im Oberhaus inne hat, residieren, aber leider sind zur Krönungsmesse nur Vertreter und nahe Verwandte der Peers, ausländische Ehrengäste und erstmals das komplette Unterhaus eingeladen. Damit ist Westminster Abbey bis zur Decke gefüllt. Da ist für mich kein Platz mehr. Isobel wird aber mit den Töchtern des Earls und seiner Gattin Lady Branford bei den Ladys sitzen dürfen, dafür habe ich gesorgt.«
»Vielleicht werde ich auch nach London kommen und mir die Feierlichkeiten ansehen«, sagte Havisham rasch. »Die Königin ist noch sehr jung, gerade einmal achtzehn Jahre alt. Ich nehme an, sie wird es länger machen als ihre beiden glücklosen Vorgänger und hoffentlich auch besser. Also wird das vermutlich die letzte Krönung sein, derer wir teilhaftig werden.«
»Da würde ich mich aber jetzt schon um eine Unterkunft bemühen. Man rechnet mit bis zu vierhunderttausend Besuchern in der Hauptstadt. Old London wird aus allen Nähten platzen, fürchte ich«, wandte Mr de Burgh ein, obwohl er dem Gedanken, Havisham dort zu treffen, nicht abgeneigt war. Der Mann war ihm in seiner entschlossenen und geschäftstüchtigen Art nicht unsympathisch.
»Oh, es wird sich schon ein Plätzchen für mich finden. Ich habe viele Freunde, Bekannte und auch einige Verwandte in London. Man wird sich sehen, alter Freund. Und vielleicht erweist mir ja auch Ihre reizende Tochter die Ehre eines Treffens?« Havisham lächelte Isobel galant zu.
Diese erwiderte die ambitionierte Bitte, wie man es von ihr erwartete, mit einem bescheidenen Lächeln und einer leichten Verneigung, aber Cathy bemerkte trotzdem, dass ihre blauen Augen unwillig blitzten. Das war kein Wunder. Mr Havisham entsprach nicht im Geringsten den hochfliegenden, durch entsprechende Lektüre genährten Vorstellungen von einem geeigneten Galan, die sich Isobel zweifelsohne machte. Da kam der gut aussehende Stallknecht der Sache schon näher. Leider war er aber nur ein Stallknecht und damit indiskutabel! Oder etwa nicht? Plötzlich keimte in Cathy ein Verdacht auf, warum Isobel so dringend Näheres über den neuen Einwohner von Whitefell wissen wollte. Ihr wurde fast schlecht. Das bedeutete größere Probleme, sollte sich in Isobel tatsächlich eine solchermaßen verwegene Idee festgesetzt haben. Sie kannte Isobels Entschlossenheit zur Genüge, war sie doch selbst das beste Beispiel dafür. Aaron Stutter konnte einem jetzt schon leid tun.
Kapitel 14
Aaron sah auf. Miss Isobel de Burgh hatte soeben ausdrücklich nach ihm verlangt. Frederick wirkte leicht gekränkt. Bisher war es unbestritten seine Aufgabe gewesen, Miss de Burgh zu ihren allmorgendlichen Ausritten in den Sattel zu helfen. Dass er sie begleitete, war allerdings schon lange vorbei. Miss de Burgh war eine hervorragende Reiterin und brauchte auf den bekannten Wegen wirklich keinen Bewacher mehr. Das hatte sie schon vor langen Jahren ihrem Vater abgerungen. Frederick winkte den neuen Stallknecht trotzdem ungeduldig heran. Die junge Herrin wünschte es so und das war das Einzige, was zählte. »Du hilfst der Miss und anschließend mistest du den Stall aus«, raunzte er ihn unfreundlich an. Dieser Stutter sollte sich bloß nichts einbilden.
Aaron wagte einen Blick auf sie. Bisher hatte er die Tochter des Hausherrn nur von Weitem gesehen. Er war ja erst seit wenigen Tagen auf Whitefell und hatte, wie es der Zufall wollte, immer anderswo zu tun gehabt, wenn Miss de Burgh den Stall besuchte. Für einen Stallknecht gab es viel Arbeit. Was er sah, gefiel ihm nicht schlecht. Miss de Burgh war jung, blond und recht hübsch, obwohl ihm ihre Schönheit etwas oberflächlich erschien. Ihre sehr eng geschnürte Taille würde sich allerdings beim Reiten sicher als hinderlich erweisen. Aaron fragte sich, wie es Damen schafften, sich mit einer solch unpraktischen Bekleidung überhaupt auf einem Pferd zu halten, aber Miss de Burgh war dergleichen offensichtlich gewöhnt.
»Ich würde heute gerne den neuen Schimmel reiten«, meinte sie leichthin. Frederick wiegte zweifelnd das graue Haupt. »Ich weiß nicht recht, Miss. Der Schimmel ist noch jung und kaum zugeritten. Ein rassiges Tier, aber noch ziemlich wild.«
Isobel lachte übermütig und zeigte dabei ihre blitzenden Zähnchen. »Und du meinst, das kümmert mich? Das Pferd möchte ich
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