Die dritte Sünde (German Edition)
unterbrach ihn ungehalten: »Ist das der Grund für Mr Havishams Anwesenheit? Was um alles in der Welt hast du ihm versprochen, Vater?«
Mr de Burgh wich dem entsetzten Blick seiner Tochter betreten aus. »Mr Havisham hat mir aus unserer prekären finanziellen Not geholfen und auch dafür gesorgt, dass dieses vermaledeite Minengeschäft, wenn ich Glück habe, wieder rückgängig gemacht werden kann. Er hat sogar dein unvernünftig teures Kleid bezahlt, das du dir für die Krönung bestellt hast. Ich weiß nicht, ob ich Whitefell werde halten können. Wahrscheinlich werden wir in bescheidenere Verhältnisse umziehen müssen, es sei denn …«
»Es sei denn, was ?« Isobel wurde übel. Sie ahnte nur zu gut, was ihr Vater ihr gleich eröffnen würde.
»Kind, Mr Havisham findet großes Gefallen an dir. Solltest du dich für ihn erwärmen können und ihn heiraten, wird er sicher alles daran setzen, unseren Familiensitz zu halten. Er hofft ausdrücklich, dass du dich ihm in Kürze für die großzügige Hilfe, die er mir und damit auch dir angedeihen ließ, erkenntlich zeigen wirst. Obwohl er heute Abend mehr als erzürnt war über deine Respektlosigkeit, konnte ich ihn noch einmal überreden, dir etwas Zeit zu lassen. Allerdings erwartet er in den nächsten Tagen eine Entscheidung von dir.«
»Ich soll mich ihm erkenntlich zeigen? Für was denn? Für deine Unvernunft, Vater?« Isobels Stimme wurde schrill. Es war ihr egal, dass die Ballbesucher wieder zu ihnen herübersahen. Das Ganze war einfach entsetzlich! »Wie kannst du es auch nur in Erwägung ziehen, mich ihm zu verkaufen? Meine Entscheidung kann er schon jetzt haben, wenn er will! Wo ist er überhaupt?«
»Schhh, leise Kind, ich bitte dich!« De Burgh sah sich ängstlich um. »Mr Havisham ist vorhin zurück nach Branford House gefahren. Er zieht es aber vor, den Rest der Tage bis zur Krönung im Hause eines Freundes verbringen, hat er mir mitgeteilt. Er war sehr erbost über dich, Isobel!« Er leckte sich die trockenen Lippen, sein Mund war wie ausgedörrt. Wenn Isobel nicht einlenkte, war er verloren. »Bitte, mein liebes Kind, so nimm doch Vernunft an. Bedenke doch, er ist sehr reich und wird dir ein äußerst angenehmes und interessantes Leben bieten können. Mit vielen Reisen und allen Annehmlichkeiten, die du dir nur wünschst.«
»Und dafür muss ich mich ihm hingeben, so ist es doch! Dafür und für dein Fortkommen.« Isobel bedachte ihren Vater mit einem vernichtenden Blick. Was war er doch schäbig in ihren Augen! Er hatte sie ohne zu zögern verschachert! Seine eigene Tochter, die er doch angeblich so liebte! Sie hielt es nicht länger aus. Sie raffte ihr Gewand und stürmte die Treppe hinauf in die oberen Stockwerke von Blinsted House. Nur weg von ihm. Sie musste sich erst einmal wieder beruhigen.
Die Musik und die aufgeregten Gespräche wurden merklich leiser, als sie den breiten Korridor in der ersten Etage auf der Suche nach einem Ort der Ruhe entlangrannte. Dort hinter der großen Tür am Ende des Ganges war bestimmt ein Salon, wie in den meisten größeren Stadthäusern. Dort würde sie sich verstecken, um sich wieder zu fassen. Der Abend hatte sich in einen blanken Albtraum verwandelt und sie war mittendrin. Nun liefen ihr wirklich Tränen die Wangen hinunter, Tränen der Demütigung, des Zorns und des Trotzes. Wie konnten sie es nur wagen, so mit ihr umzugehen! Aber sie würden schon noch sehen, was sie davon hatten. Sie würde sich rächen! Schnell öffnete sie die unverschlossene Tür des Salons, denn ein solcher verbarg sich tatsächlich dahinter, und warf sich schluchzend in einen großen Sessel vor dem Kamin, über dem ein großer Spiegel hing. Kein Feuer brannte im Kamin, aber es war ja auch Sommer, zudem waren Brennholz und Kohle zurzeit knapp in London. Nach einer geraumen Weile beruhigte sie sich wieder. Ihre Situation war wirklich fatal. So wie die Dinge standen, blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als Mr Havishams Antrag anzunehmen, wollte sie nicht in prekären Verhältnissen enden. Nicht auszudenken! Womöglich musste sie sich dann ihren Lebensunterhalt selbst verdienen, so wie Miss Hunter. Lieber brachte sie sich um!
Aber die Vorstellung, mit Havisham das Bett zu teilen, widerte sie über die Maßen an. Was sollte sie nur tun? Sie starrte ratlos auf die verwaiste Feuerstelle, als plötzlich die Tür zum Salon aufging und eine lustvoll gurrende Frauenstimme ertönte. Isobels Blick wanderte erschreckt zum Spiegel, der über
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