Die dritte Todsuende
daß die Spurensicherung nach dem zweiten Mord zwei schwarze Haare auf der Lehne eines Sessels gefunden hat?«
»Das ist richtig, Sir. Und eins auf dem Kopfkissen. Alle drei aus schwarzem Nylon.«
»Ich interessiere mich nur für die beiden auf der Sessellehne. Haben sie Fotos gemacht?«
»Oh ja, natürlich. Hunderte. Und Zeichnungen haben sie auch noch angefertigt.«
»Haben sie die beiden Haare auf der Sessellehne fotografiert, bevor sie sie berührt haben?«
»Ich bin ganz sicher, daß sie das getan haben, Sir. Mit einem danebengehaltenen Lineal, um Größe und Lage zu verdeutlichen.«
»Gut«, sagte Delaney. »Jetzt gehst du hin und machst folgendes: Besorg dir die Fotografie der exakten Position der beiden Haare auf dem Sessel. Nimm dir einen Mann von der Spurensicherung oder vom Labor mit und geh' noch einmal zum Tatort. Miß genau die Strecke von der Stelle, wo die Haare gefunden worden sind, bis zur Sitzfläche. Hast du verstanden? Angenommen, die Haare stammen vom Täter, bekommst du auf diese Weise seine Maße vom Oberkörper. Dann hast du wenigstens etwas.«
Einen Moment herrschte Stille. Dann explodierte Boone: »Verdammt noch mal, warum bin ich nicht darauf gekommen?«
»Du kannst nicht an alles denken«, sagte Delaney.
»Das sollte ich aber«, sagte Boone bitter. »Dafür werde ich nämlich bezahlt. Danke, Sir.«
»Viel Glück, Sergeant.«
Als er aufhängte, blickte Monica ihn verwundert an. »Du bist schon einer, weiß Gott«, sagte sie.
»Ich wollte ihm nur helfen.«
»Oh, sicher.«
»Es tut mir ehrlich leid, daß ich dich geweckt habe«, sagte er.
»Tja«, sagte sie, »und damit es nicht völlig umsonst war…«
3
Zoe Kohler hatte die Autobiographie eines Bühnenautors gelesen, der eine Zeitlang geisteskrank gewesen war und mehrere Jahre in einer Anstalt zugebracht hatte. Er sagte, es sei überhaupt nicht wahr, daß die Kranken sich selber für gesund hielten, sondern es geschehe durchaus, daß die Verrückten selber wüßten, daß sie verrückt sind. Sie seien lediglich unfähig, ihr Leiden zu bekämpfen, oder sie hätten keine Lust dazu. Denn, so schrieb er, Verrücktsein hat auch seine angenehmen Seiten und seine Schönheiten.
Die Worte »angenehme Seiten und Schönheiten« waren ihr in Erinnerung geblieben; sie dachte oft daran. Die Annehmlichkeiten des Verrücktseins. Die Schönheiten des Wahnsinns.
An dem Nachmittag nach ihrem zweiten Abenteuer (so nannte Zoe Kohler die Abende: ihre »Abenteuer«) kam Everett Pinckney zu ihr ins Büro im Hotel Granger. Er setzte sich auf die Kante ihres Schreibtisches und neigte sich ihr zu; sie roch den Whiskey.
»Schon wieder einer«, sagte er leise.
Sie blickte ihn an. Dann schüttelte sie den Kopf. »Ich verstehe nicht, Mr. Pinckney.«
»Ein weiterer Mord. Diesmal im Pierce. Genau wie der im Grand Park letzten Monat. Haben Sie davon gelesen?«
Sie nickte.
»Dieser ist praktisch auf dieselbe Weise verübt worden«, sagte er. »Derselbe Täter.«
»Wie schrecklich«, sagte sie mit einem Ausdruck des Abscheus.
»Sieht ganz nach einem neuen Son of Sam aus«, sagte er mit einem gewissen Wohlgefallen.
Sie seufzte. »Ich schätze, jetzt haben die Zeitungen ihren großen Tag.«
»Sie versuchen, die Verbindung aus den Zeitungen herauszuhalten. Im Moment. Es wäre nicht gut für die Hotelbranche. Aber früher oder später wird es trotzdem herauskommen.«
»Das nehme ich auch an«, sagte sie.
»Sie werden ihn kriegen«, sagte er und rutschte vom Schreibtisch.
»Es ist nur eine Frage der Zeit. Wie fühlen Sie sich heute?«
»Danke, viel besser.«
»Freut mich zu hören.«
Sie sah zu, wie er aus dem Büro watschelte. »Ihn« hatte er gesagt. »Sie werden ihn kriegen.« Sie glaubten, es handelte sich um einen Mann; das war beruhigend. Aber was Pinckney über die Zeitungen gesagt hatte — das war alles andere.
An jenem Abend trat sie in die erste funktionierende Telefonzelle, an der sie auf dem Nachhauseweg vorbeikam. Sie versuchte, mit einer tiefen, männlichen Stimme zu sprechen und erklärte der Telefonistin der Times, daß sie mit jemand verbunden werden wolle, der für den Mord im Pierce zuständig sei. Es gab ein kurzes Klicken, während ihr Anruf weitergeleitet wurde. Sie wartete geduldig.
»Lokales«, sagte ein Mann. »Gardner.«
»Es geht um den Mord gestern abend im Hotel Pierce«, sagte sie so tief wie möglich.
»Ja.«
»Das Vorgehen des Täters war identisch mit dem vom letzten Monat im Grand Park Hotel. Es war dieselbe
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