Die dritte Todsuende
auch. Drinnen befanden sich zwei Männer. Einer saugte den Boden ab, der andere bestäubte das Nachttischradio, um Fingerabdrücke abzunehmen.
»Die Spurensicherung«, erklärte Boone. »Sie werden gleich fertig sein. Das gleiche Team, das die Morde an Puller und Wolheim bearbeitet hat. Sie sind sauer.«
»Sauer?«
»Ihre Berufsehre ist gefährdet, weil sie bisher noch nichts Brauchbares gefunden haben. Sie haben ihren kleinen Staubsauger da mit durchsichtigen Plastiktüten gefüttert, das Badezimmer abgesaugt, die Tüte herausgenommen, mit einem Etikett versehen, eine neue Tüte eingelegt, das Bett abgesaugt, die Tüte wieder ausgewechselt und sich die Möbel vorgenommen. Jetzt ist der Teppich dran.«
»Gute Idee«, sagte Delaney. »Was weißt du über das Opfer?«
Sergeant Abner Boone holte sein Notizbuch heraus, begann die Seiten durchzublättern…
»Ähnlich wie Puller und Wolheim«, sagte er dann. »Mit ein paar kleinen Unterschieden. Der Bursche heißt Jerome Ashley, männlich, weiß, neununddreißig und…«
»Einen Augenblick«, sagte Delaney. »Er ist neununddreißig?«
Boone nickte. »Steht in seinem Führerschein. Warum?«
»Ich hatte gehofft, ein Schema entdeckt zu haben — übergewichtige Männer von Mitte Fünfzig.«
»Trifft auf diesen hier nicht zu. Er ist neununddreißig, dünn wie eine Bohnenstange und mindestens einen Meter zweiundachtzig groß. Er stammt aus Little Rock, Arkansas, und arbeitete für eine Schnellimbiß-Kette. Er hielt sich wegen einer Verkaufstagung in New York auf.«
»Die wo stattfindet?«
»Genau hier im Coolidge. Er hatte eine Verabredung zum Frühstück mit ein paar Kollegen. Als er nicht auftauchte und auch nicht ans Telefon ging, haben sie nach ihm gesucht. Sie baten einen Gepäckträger, ihnen die Tür zu öffnen, und da lag er dann.«
»Keine Spuren eines gewaltsamen Eindringens?«
»Keine. Überzeugen Sie sich selbst.«
»Sergeant, wenn du sagst, es gibt keine Spuren, dann gibt es auch keine. Anzeichen eines Kampfes?«
»Weist nichts darauf hin. Aber einige Dinge sind anders als bei Puller und Wolheim. Er lag nicht nackt im Bett. Er hatte sein Jackett ausgezogen, das war alles. Und er liegt auf dem Boden, neben dem Bett. Seine Brille ist heruntergefallen, sein Drink verschüttet. Nach meiner Version saß er auf dem Bettrand und nuckelte ganz entspannt an seinem Drink. Der Killer taucht hinter ihm auf, zieht vielleicht seinen Kopf zurück, schlitzt ihm die Kehle durch. Er kippte nach vorn auf den Boden. An der Wand neben dem Bett sind Blutspritzer.«
»Stichwunden in den Genitalien?«
»Jede Menge. Direkt durch die Hose.«
Die Männer von der Spurensicherung trugen ihr Handwerkszeug, die Kameras und den Staubsauger hinaus. Es gab nichts mehr zu tun.
Delaney beschloß, zu Fuß nach Hause zu gehen. Es war ein milder Aprilmorgen. Er schritt rüstig aus, mit offenem Mantel, dessen Schöße gegen seine Beine schlugen, den Hut schräg auf dem Kopf, eine Zigarre zwischen die Zähne geklemmt. Jogger überholten ihn, Radfahrer flitzten vorbei. Um ihn herum wirbelte der Straßenverkehr. Er genoß das alles — und dachte an Jerome Ashley und seinen riesigen Mund.
Jeder vernünftige Kriminalbeamte würde sich an die Statistiken halten, überlegte Delaney. Jeder Cop auf der ganzen Welt tat das, ob er sich dessen bewußt war oder nicht. Auch Edward X. Delaney war noch nicht bereit, die Statistiken über Bord zu werfen. Wenn er den Hotel-Ripper-Fall bearbeitet hätte, wäre er wahrscheinlich genauso vorgegangen, wie Slavin das im Moment tat: er hätte nach einem männlichen Killer gesucht und jeden Homosexuellen vorführen lassen, dem eine Messerstecherei zuzutrauen war.
Aber es gab Punkte, die einfach nicht paßten und die man nicht ignorieren durfte, nur weil sie sich in kein bekanntes Schema fügten.
Delaney betrat einen Delikatessenladen an der Third Avenue, erstand Brot und einige Konserven und trug sie nach Hause. Monica war auf einem ihrer Meetings oder Symposien oder Colloquien. Er war froh, daß sie sich engagierte und eigene Interessen hatte. Und er war genauso froh, das Haus für sich allein zu haben.
Er bereitete sich zwei Sandwiches — Schwarzbrot mit Schalotten und ein paar Tropfen frischen Zitronensaft — und nahm sie und eine Flasche Heineken-Bier mit in das Arbeitszimmer. Er setzte sich an den Schreibtisch, aß und trank und legte dabei ein Dossier für das dritte Opfer an.
Nachdem er mit dem Essen fertig war, las er das Dossier noch einmal
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