Die Druidengöttin
verletzt und verwirrt. Sie hätte es sich denken können. Ihr charmanter Mann hatte sie weit genug eingelullt, daß sie beinahe vergessen hätte, was man ihrer Mutter angetan hatte. Sie durfte nie mehr so nachlässig in ihrem gesunden Mißtrauen werden, andernfalls könnte sie ihren Seelenfrieden gefährden.
Sobald Graf Burghley ihn rief, ließ Richard Keely mit Herzog Robert und Lady Dawn zurück und eilte zu ihm. Seither war eine Stunde verstrichen.
Keely ließ den Saaleingang nicht aus den Augen. Die Gespräche der Höflinge waren nur ein Geräuschteppich, während sie begierig auf Rhys wartete. Ob Richard mit seiner Sichtweise vielleicht recht hatte? Würden diese englischen Edelleute sie als eine der ihren anerkennen, wenn sie sich unter sie mischte? Oder würden sie sie links liegenlassen und sie spüren lassen, daß sie ein Bastard war?
Außer Frage jedoch stand, daß Rhys von ihrem Außenseiterdasein erfuhr. Rhys ging so in seiner Beschützerrolle auf, daß er wahrscheinlich jeden Höfling herausfordern würde, der sie geringschätzig behandelte. Ihr Bruder war als kampflustig bekannt, doch es würde sicherlich seine Kräfte übersteigen, sich mit jedem englischen Edelmann zu duellieren.
Als Keely den Blick über den Saal schweifen ließ, hatte sie das Gefühl, es herrsche eine andere Stimmung vor. Die Hofgesellschaft erschien ihr an diesem Abend ausgelassener und wilder, weil die Königin sich von dem Fest zurückgezogen hatte.
Keelys veilchenblauer Blick streifte gerade in dem Moment den Saaleingang, als Rhys auftauchte. Sie bewegte sich durch die Menge auf ihn zu.
Nie hatte ihr Bruder schöner und männlicher ausgesehen als in diesem Augenblick – jeder Zoll so umwerfend wie ihr Ehemann. Rhys hatte sich die Kleidung für diese Gelegenheit von Richard ausgeliehen und sah aus wie ein schwarzer Raubvogel im Anflug auf einen Haufen ahnungsloser Kanarienvögel.
»Wie geht‘s, Bruder?« begrüßte ihn Keely lächelnd.
»Schwester, neben deiner strahlenden Schönheit verblassen diese fahlen Engländerinnen«, sagte Rhys bewundernd. »Dreh dich um und laß dich bestaunen.«
Kichernd drehte Keely sich im Kreis. Das junge Mädchen, das durch die walisischen Wälder gezogen war, war verschwunden, obwohl ihr Wesenskern nach wie vor derselbe war. Doch statt dieses Mädchens stand nun eine begehrenswerte Frau vor ihm, die ein gewagt dekolletiertes Kleid trug, das ihre verführerische Schönheit noch betonte.
Für Rhys‘ Gefühl war dieses Kleid viel zu offenherzig, aber er behielt seine Meinung für sich. Doch Keely gehörte nun zu dem englischen Grafen, und er wollte sich nicht in die Angelegenheiten seines Schwagers mischen.
»Du mußt die Frau meines Vaters kennenlernen«, erklärte Keely und nahm ihn bei der Hand. »Sie war ausgesprochen freundlich zu mir.«
Zusammen tauchten Keely und Rhys in die Menge. An der Hand ihres Bruders fühlte Keely sich ungewöhnlich selbstsicher. Die erstaunten Blicke und das Geraune, wer denn der gutaussehende Mann sei, erfüllten sie mit Stolz.
»Lady Dawn, darf ich Euch meinen Bruder Baron Rhys Lloyd vorstellen?« machte Keely die beiden miteinander bekannt.
Rhys verbeugte sich über der Hand der Herzogin und begrüßte sie mit den Worten: »Vielen Dank für die Güte, die Ihr meiner Schwester erwiesen habt.«
»Wäre ich nicht so verrückt nach meinem Tally«, gurrte Lady Dawn und schenkte ihm ihr Katzenlächeln, »würde ich mich Euretwegen vollkommen zum Narren machen, Baron, so wie es diese jungen Damen dort drüben tun werden, die sich die Augen nach Euch herausgucken.«
»Komm, Rhys«, sagte Keely, die nun entschlossen war, sich der Herausforderung ihres Mannes zu stellen, »ich möchte dich ein paar Höflingen vorstellen.«
Sie hakte sich bei ihrem Bruder unter und führte ihn durch den Saal. Als sie die schwangeren Freundinnen ihrer Stiefmutter entdeckte, die sie am Tag vorher kennengelernt hatte, steuerte sie auf diese zu.
»Lady Tessie und Lady Blair«, erklärte Keely freundlich lächelnd. »Ich möchte Euch meinen Bruder, Baron Lloyd, vorstellen.«
Rhys verbeugte sich über Tessies Hand und sagte schmeichelnd: »Ihr seht bezaubernd aus in diesem himmelblauen Kleid.«
Tessie seufzte. »Ich wünschte, Pines machte mir so freundliche Komplimente wie Ihr.«
Anschließend wandte sich Rhys Lady Blair zu, verbeugte sich höflich und wollte auch ihr ein Kompliment machen, aber seine Schwester kam ihm zuvor.
»Wie geht es dem lieben Horatio heute?«
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