Die Druidengöttin
stehen. Dann schloß sie die Augen, konzentrierte sich auf ihren Atem und berührte den Drachenanhänger, dessen Saphire, Diamanten und Rubine in den letzten Sonnenstrahlen Feuer zu sprühen schienen.
Keely bebte, ein kalter Schauer der Vorahnung lief ihr den Rücken hinunter. Sie liebte die Rituale, die ihre Mutter sie gelehrt hatte. Doch sie war sich nicht sicher, ob sie ohne Megans spirituelle Begabung wirksam sein würden.
»Die Alten sind hier, sie warten ab und sehen zu«, klang Keelys sanfte Stimme durch die stille Nacht. »Die Sterne sprechen durch die Steine, und das Licht scheint durch die dickste Eiche.« Ihre Stimme wurde lauter. »Himmel und Erde sind ein Reich.«
Keely umrundete das Kreisinnere im Uhrzeigersinn und sammelte die wilden Beeren, um sie neben sich im Kreiszentrum, der Seele des Kreises, auf den Boden zu legen. »Ich bewahre das Gute und entferne das Nutzlose. Gedankt sei der Muttergöttin für die Früchte der Erde. Gedankt sei Esus, dem Gott des Opfers, der in diesen majestätischen Bäumen wohnt, die uns mit Nahrung versorgen und mit Holz, um uns Behausungen zu bauen und uns zu wärmen.«
Nach einer langen Pause, in der sie über die nächsten Schritte des Rituals und ihre Gefühle nachdachte und sich sammelte, so wie die Natur ihre Kraft sammelt, drehte sie sich dreimal mit geöffneten Armen um sich selbst und rief mit lauter Stimme: »Geist, der mich auf meiner Reise geleitet, hilf mir, die Sprache der Bäume zu verstehen. Geist meiner Ahnen, hilf mir, die Sprache des Windes zu verstehen. Geist meines Stammes, hilf mir, die Sprache der Wolken zu verstehen.«
Daraufhin blickte Keely in die untergehende Sonne und schloß die Augen. »Öffne mein Herz, damit ich über den Horizont hinaussehe.«
Es verstrich einige Zeit, und dann geschah es. Bilder tauchten vor ihrem geistigen Auge auf ...
Undurchdringliche Dunkelheit. Ein flaues Gefühl in der Magengrube. Unsichtbares Übel, das ganz in der Nähe lauert. Schließlich das warme Gefühl von Sicherheit. Starke, schützende Arme, so zuverlässig wie die mächtigen Eichen. Arme, die sie willkommen heißen. Sie beschützen ...
Das Bild verschwand, und sie befand sich wieder in der Wirklichkeit des Berges von Primrose.
Keely machte langsam die Augen auf, berührte den leuchtenden Drachenanhänger und sprach leise ein Gebet. »Ich bitte die ganze Macht der Liebe meiner Mutter, die in diesem Drachen lebt, mich und die meinen zu schützen.«
Versunken in das Schauspiel, flüsterte Hew seinem Bruder zu: »Ich bin kein Feigling, aber sie treibt mir wirklich den Angstschweiß auf die Stirn.«
»Ich weiß, was du meinst«, stimmte Odo ihm so zermürbt zu, daß er sogar einen verstohlenen Blick über die Schulter warf. »Mir kommt es so vor, als hätten es diese Bäume nur darauf abgesehen, mich zu packen.«
Die beiden wollten gerade zu Keely gehen, als diese sie ohne hochzublicken warnte: »Es ist verboten, den Kreis zu durchbrechen.« Mit geschlossenen Augen beendete sie die Zeremonie. »Ich danke der Göttin und diesen Eichen dafür, daß sie mich an ihrer Weisheit teilhaben ließen.«
Erschöpft ging Keely zum westlichen Rand des Kreises, wo sie begann, die Steine wieder einzusammeln und den Bann zu brechen. Anschließend zog sie die weiße Robe aus, legte sie zusammen und holte ihre Tasche.
»Hast du gehört, was die Bäume sagten?« wollte Odo wissen.
»Ja«, beantwortete sie seine Frage.
»Und was der Wind flüsterte?«
»Ja.«
»Heute weht kein Wind«, warf Hew ein.
»Der Wind umgibt uns immer«, erklärte ihm Keely.
»Ich habe ihn nicht gehört.«
»Du hirnverbrannter Idiot«, fuhr Odo ihn an. »Natürlich konntest du ihn nicht hören. Der Wind hat ihr ins Ohr geflüstert.«
Keely schmunzelte ihren beiden Cousins zu, bevor sie den Himmel absuchte. Im Westen war der Himmel noch immer flammend rot, während er sich im Osten bereits in ein dunkles Schiefergrau färbte.
»Hast du über das Firmament hinausgesehen?« wollte Hew wissen.
Keely nickte und hoffte, daß sie die Zeichen richtig verstanden hatte. Ach, wenn sie doch nur einen Funken des Talents ihrer Mutter besäße! »Wir müssen zurück nach London und bis zum Morgengrauen in unserem Zimmer bleiben.«
»Warum?« fragte Odo.
»In der Taverne finden wir Sicherheit«, antwortete sie.
»Ist die Sicherheit ein Mensch?« platzte Hew heraus.
»Vielleicht«, lächelte Keely unsicher. »Ich habe schützende Arme gespürt.«
»Wessen Arme waren das?« hakte Odo
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