Die Druidengöttin
sie verlassen. Es war nicht möglich, mit einem Handstreich die Schmerzen auszulöschen, die sie ihr Leben lang erduldet hatte.
»Ich verstehe deine Zurückhaltung, Kind«, brach der Herzog das Schweigen. »Ich bitte dich als dein Vater, mir die Gelegenheit zu gewähren, mir deine Liebe zu verdienen.«
»Ihr habt mich gezeugt«, berichtigte Keely ihn, ohne daß ihr der anklagende Ton bewußt geworden wäre. »Ihr wart mir nie ein Vater.«
Vergiß nie, daß er Megan verletzt hat, rief sie sich ins Gedächtnis. Vergiß nie, daß man den Engländern, vor allem den englischen Lords, niemals trauen darf.
Herzog Robert hatte sich erhoben und ging vor dem Kamin auf und ab, während er verzweifelt versuchte, Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Ihm war klar, daß seine Tochter tief verletzt war und daß er sich jedes Wort genau überlegen mußte.
Um nicht ihren Vater ansehen zu müssen, versuchte Keely, einen Blick auf den großen Saal zu erhaschen. Gestern war sie viel zu aufgeregt gewesen, als daß sie ihrer Umgebung große Aufmerksamkeit gezollt hätte.
Dieser Saal war weitaus eindrucksvoller als der von Schloß Ludlow. Es gab zwei Kamine, an jedem Ende einen. An der Decke waren schwere Balken, von denen unzählige Talbot-Fahnen hingen. An den Wänden gab es bronzene Kerzenhalter und farbenprächtige Gobelins zu bestaunen. Auf den meisten davon waren Jagdszenen zu sehen, ein Wandteppich jedoch hob sich von den anderen ab, auf ihm waren eine Jungfrau und ein Einhorn abgebildet, die einander gegenübersaßen.
Keely stand auf und ging hinüber zu diesem merkwürdigen Gobelin. Irgend etwas sprach sie an, zog sie auf beinahe magische Weise hin zu diesem Wandteppich. Sie hatte ein starkes Bedürfnis, ihn zu berühren, schloß die Augen und legte die rechte Hand an den Wandbehang. Sie konnte den Geist ihrer Mutter fühlen, ein leises Lächeln umspielte ihre Lippen.
Dicht hinter ihr stand Herzog Robert. Mit gefühlsbewegter Stimme erklärte er ihr: »Megan hat ihn für mich gemacht. Achtzehn Jahre lang habe ich nur diesen Gobelin und den Drachenanhänger von ihr gehabt. Nun habe ich dich.«
Keely drehte sich langsam um und lehnte sich mit dem Rücken gegen den Gobelin. Sie fühlte sich sicherer, wenn sie den Geist ihrer Mutter spürte. Sie blickte ihm unverwandt in die veilchenblauen Augen, die den ihren so sehr ähnelten, und erklärte ihm: »Ihr habt sie geliebt. Es tut mir leid für Euch, daß Ihr sie verloren habt.«
»Ich habe mehr als Megan verloren. Ich verlor das unermeßliche Vergnügen, dir dabei zuzusehen, wie du von einem kleinen Kind zur Frau heranwuchsest«, entgegnete ihr Herzog Robert. »Was immer du von mir denken magst, ich bin dein Vater, und dein Wohl liegt mir am Herzen.«
Keely fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, die von all der Anspannung ganz trocken geworden waren. Falls zwischen dem Herzog und ihr eine vertrauliche Beziehung entstehen sollte, konnte dies nur auf dem Fundament von Wahrheit und Aufrichtigkeit geschehen.
»Ich habe Euch etwas zu gestehen«, hub Keely an, bevor sie für einen langen Moment zögerte, um dann doch fortzufahren. »Ich bin Heidin.«
Sie war überrascht, als Herzog Robert nur lächelte, als er ihr Geständnis hörte. »Am Hofe benehmen sich alle wie Heiden«, antwortete er. »Elisabeth und Burghley natürlich ausgenommen. Ach, du kannst dir nicht vorstellen, wie es dort zugeht.«
»Ich meine damit, daß ich an das alte Wissen glaube«, versuchte Keely ihm zu erklären. »Wie Megan bin ich eine Druidin.«
»Was immer du bist, ändert nichts daran, daß ich dein Vater bin«, überraschte der Herzog sie erneut. »Ich möchte die Möglichkeit haben, dich kennenzulernen.«
Verdutzt fragte sich Keely, wo die Predigt über die Gefahren ihrer unglaublichen Anschauungen blieb. Wie konnte dieser offensichtlich warmherzige, gütige Mann die Frau, die er liebte, geschwängert und anschließend im Stich gelassen haben? Warum lud er sie, im Grunde genommen eine vollkommene Fremde, in sein Haus ein und schloß sie so ins Herz? War er ein Narr? Oder war sie die Närrin?
»Wirst du mir dein Vertrauen schenken, Kind?« fragte der Herzog sie.
Das Kinn leicht erhoben, meinte Keely: »Was das angeht, ist Euer Ruf nicht der beste.«
Herzog Roberts Mund zuckte. Verflucht, das Mädchen hatte mit seinen veilchenblauen Augen und dem ebenholzschwarzen Haar wohl auch seinen Mut und seinen Stolz geerbt! »Wirst du mir dann eine Möglichkeit geben, mir dein Vertrauen zu verdienen?«
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