Die Druidengöttin
verwinkelten Gassen zu suchen.
Nicht wenige blieben stehen und drehten den Kopf nach ihnen um, als sie vorbeiritten. Keely fühlte sich immer unwohler in ihrer Haut. Sie musterte den Grafen aus den Augenwinkeln, doch Richard schienen die neugierigen Blicke der Londoner Bürger nicht zu stören. Ganz im Gegenteil, er schien sie gar nicht zu bemerken.
»Gesundheit wünsch ich Euch, Midas«, rief einer der mutigeren Schaulustigen ihnen zu.
Richard lachte und warf dem Mann eine Münze zu. »Gott schütze die Königin«, rief er.
Als sie an der St. Pauls Cathedral angekommen waren, schwenkten Richard und Keely nach rechts. Am Ende der Straße ritten sie rechts in die Thames Street. Keely hatte keine Ahnung, wohin sie ritten, sie folgte einfach dem Grafen.
»Unser erstes Ziel liegt etwas außerhalb von London, im Osten«, erklärte er ihr. »Der White Tower ist Englands berühmtestes Wahrzeichen. Er ist eine Mischung aus Palast, Garnison und Gefängnis. Elisabeth hält dort nie Hof, weil der White Tower sie zu sehr an unerfreuliche Zeiten erinnert. Doch die Nacht vor der Krönung verbrachte sie dort, wie es der Brauch ist. Damals war ich noch zu jung, aber meine Eltern waren bei der Krönung anwesend.«
Am Ende der Thames Street ragte düster der Tower empor. Richard hielt sein Pferd an und erzählte: »Mein Vater mußte im Beauchamp-Turm einsitzen, als der alte König Heinrich nicht gut auf ihn zu sprechen war.«
»Er überlebte und konnte diese Geschichte erzählen?« fragte Keely überrascht. Sogar zu den hinterwäldlerischen Walisern waren die Schauergeschichten von Englands Königen und ihrem schreckenerregenden Tower gedrungen.
Richard schmunzelte über ihre Unwissenheit. »Schatz, der Tower ist weder ein Verlies noch eine Folterkammer. Es ist sogar außerordentlich einfach, dort zu entkommen, sofern man das Geld besitzt, die Wachen zu bestechen, oder den Mut, in die Themse zu springen.«
»Dein Vater entkam?«
Richard schüttelte den Kopf. »Mein Vater spazierte zum Tor hinaus, als Heinrichs Wut verraucht war.«
»Weshalb saß er denn dort ein?«
»Er hatte meine Mutter ohne die Erlaubnis des Königs geheiratet.«
Als sie durch die großen Tore in den Schloßhof ritten, lief Keely ein eiskalter Schauer über den Rücken. »Auf diesem Schloß lastet ein Fluch«, erklärte sie. »Wilhelm der Eroberer mischte Drachenblut in den Mörtel.«
Richard warf ihr einen belustigten Blick zu. »Es gibt keine Drachen, höchstens in der lebhaften Phantasie von deinesgleichen, Schatz.«
Darauf stieg er ab und half Keely aus dem Sattel, die nicht von seiner Seite wich. Sie fühlte sich hier bedrückt und unwohl.
Was der Graf auch gesagt haben mochte, in ihrem tiefsten Innern wußte Keely, daß in dem verfluchten Schloß arme Seelen umherirrten, verdammt in alle Ewigkeit. Wer von diesen englischen Christen besaß das Wissen und den Mut, diesen armen, verlorenen Seelen zu helfen, den Weg auf die andere Seite zu finden?
Zwei scharlachrot gekleidete Gardesoldaten stürzten auf sie zu und kümmerten sich um ihre Pferde. Richard warf jedem von ihnen eine Münze zu. »Wir wohnen der Messe in der Kapelle bei«, erklärte er ihnen. »Wir brauchen keine Eskorte.«
Ein unheimliches Knurren zerriß die Luft. Voller Angst warf Keely sich dem Grafen in die Arme. »Hier spukt es!«
Richard schmunzelte, nahm sie jedoch fürsorglich in die Arme. Die Wachsoldaten grinsten einander zu.
»Das sind die Löwen in der Menagerie der Königin«, erklärte Richard. »Wir kommen dort vorbei, wenn wir wieder gehen.«
Er griff nach Keelys Hand und führte sie den Weg zum Offiziersquartier hinunter. »Wir gehen da durch.« Er deutete auf eine Tür.
Keely hörte ihn nicht. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt einem Tor etwas weiter unten. »Was ist das für ein Eingang?« flüsterte sie.
»Es heißt ›Verrätertor‹.«
Keely erschauerte. Ein düstere Wolke der Verzweiflung überwältigte sie, lähmte ihre Sinne, und sie setzte sich gegen den sanften Druck des Grafen zur Wehr. »Ich kann die Hoffnungslosigkeit dieses Ortes nicht ertragen. Bring mich fort von hier.«
»Schatz, nur Verräter müssen den Tower fürchten«, versicherte ihr Richard lächelnd. Offensichtlich war der Ruf des Towers bis nach Wales gedrungen. »Das ist eine Burg, nicht mehr und nicht weniger.«
»Jeder Ort besitzt einen bestimmten Geist«, beharrte Keely. »Ich bin empfindlicher als du und höre die schrecklichen Schreie dieser Seelen, die für alle Ewigkeit in diesen
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