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Die duemmsten aus meiner Klasse sind Lehrer geworden

Die duemmsten aus meiner Klasse sind Lehrer geworden

Titel: Die duemmsten aus meiner Klasse sind Lehrer geworden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Frydrych
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für ein Glück«, denke ich, »Millionen Menschen sind durch Frontalunterricht nachhaltig geschädigt worden!«
    Schon vor Jahren hat mich ein vorausschauendes Mitglied der Schulleitung geheißen, alle Schulzeitungen,Projektunterlagen und Urkunden für eine eventuelle Inspektion zu archivieren. Nun schleppe ich die Kartons in die Schule. Im Sekretariat sortiert die neue Ein-Euro-Kraft sämtliche Presseberichte über unsere Anstalt, alle Anagramme und »Elfchen« unserer SchülerInnen, die in der »Bäckerblume« veröffentlicht wurden, jede Menge Wettbewerbe, Tabellen, Abiturthemen und Evaluationsberichte. Der stellvertretende Schulleiter trägt neuerdings immer sein Bundesverdienstkreuz. Er hat die grauen Haare überfärbt und seine Dauerwelle auffrischen lassen. Im vertraulichen Gespräch lamentiert er, dass man mit einem überalterten Kollegium natürlich nicht besonders innovativ sein könne.
    Einmal in der Woche werden wir auf zusätzlichen Dienstbesprechungen »gebrieft«, worauf die Inspektoren achten werden. Aus entsprechenden Handbüchern bekommen wir Leitlinien, Fragebogen und Lösungsblätter. Uns wird »kommuniziert«, dass wir mehr auf unsere Kleidung und korrekte Mülltrennung im Klassenraum achten müssten. Ein Kollege behauptet, die Inspektoren kämen alle aus dem Osten, aber das glaube ich nicht.
    Tag X kommt. Da hat man also ein paar Schulflüchtige in Anzüge gesteckt, und schon sind sie »Inspektoren«. Mit bitterernster Miene und Klemmbrett schreiten sie durch unsere Anstalt, erscheinen grußlos im Unterricht, verschwinden nach zehn Minuten und hinterlassen bei den Insassen ein wenig Irritation. In jedem Raum müssen sechs Stühle für sie bereitgehalten werden. Ich stelle den Polsterstuhl mit der gesprungenen Feder dazu. Sollensie ruhig merken, unter welchen Konditionen wir arbeiten. Hoffentlich müssen sie oft telefonieren! Unsere Anlage funktioniert nämlich seit Wochen nicht.
    Am Tag X dient die erste Stunde der »Kalibrierung«. Nie gehört, das Wort. Bis heute weiß keiner, ob es transitiv oder reflexiv verwendet wird, ob der beobachtete Kollege oder die Inspektoren Objekt oder Subjekt der Handlung sind. Als wir morgens erfahren, wer als Maßstab für alle anderen herhalten muss, macht sich gewisse Erleichterung breit. Die ausgewählte Kollegin (ein Jahr vor der Pensionierung) verschwindet hektisch, wischt im Raum die Tafel, rückt die Tische und Gardinen zurecht, tauscht noch schnell ein paar uralte Bücher aus und nennt die Schüler im Unterricht pausenlos »Meine Lieben«, was die Kinder schwer verunsichert, weil sie noch nie so angesäuselt worden sind. So merkt aber niemand, dass sie nicht alle Namen weiß.
    »Waren sie schon bei dir?«, ist an diesem Tag die häufigste Frage im Kollegium. Zu manchen Lehrern kommen sie gleich zweimal. Vermutlich überprüfen sie, ob man in jeder Stunde dasselbe macht. Kollegen, die überraschend in einer fremden Klassen vertreten müssen, freuen sich besonders über einen Unterrichtsbesuch.
    Nachmittags werden handverlesene Eltern interviewt. Sie erscheinen auch frisch onduliert und adrett gewandet. Die Gespräche unterliegen der Geheimhaltung. Glücklicherweise habe ich redselige Elternvertreterinnen. Sie sollten erzählen, ob unsere Rektorin zu weich ist. Ob siebeliebt ist. Ob die Eltern wöchentliche Rapporte über die Kompetenzentwicklung ihres Nachwuchses erhielten. Und ob sie diese Anstalt fliehen würden, wenn der Inspektionsbericht negativ ausfällt. Die Eltern wollen solche Fragen nicht beantworten. Nur die Frage, welche Kommunikationswege es für sie in die Schule gebe, beantworten sie angesichts der defekten Telefonanlage gerne: »Trommeln und Rauchzeichen«.
    Im Lehrerinterview werden die auserwählten Kollegen süffisant damit konfrontiert, dass die Schüler ratlos auf die Frage reagiert hätten, nach welchen Methoden sie unterrichtet werden. »Tja«, sagt schließlich der Deutschfachleiter, »Sie hätten die Kinder halt nach instrumenteilen Lernzielen fragen sollen, darauf hätten sie antworten können!«
    Nachdem ich wochenlang darüber gespottet habe, wie Kollegen blindwütig alle Unterrichtsergebnisse laminieren und Tüten mit literarischen Schnipseln und binnendifferenzierendem Bildmaterial füllen, hat auch mich die Nervosität erwischt. Am Wochenende vor Tag X fahre ich nachts in den Copy-Shop an der Uni. In der Schule vermute ich zu Recht endlose Warteschlangen, fehlendes Papier und defekte Geräte. Alle meine Stunden habe ich

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