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Die Duftnäherin

Die Duftnäherin

Titel: Die Duftnäherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caren Benedikt
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unmöglich ihr Leben hier unten fristen können. Ob der Prior selbst wohl um ihre Gefangenschaft wusste und diese für gut befand? Oder sie, wenn er davon erführe, aus ihrer misslichen Lage befreien würde? Auf ein Einlenken Bruder Hermannus’ wagte sie nicht mehr zu hoffen. Trotzdem schämte sie sich dafür, in einem stillen Moment darüber nachgedacht zu haben, was wohl mit ihr geschehen würde, wenn der Herr ihn zu sich riefe. Sie wusste, dass es eine Sünde war, einem anderen Menschen den Tod zu wünschen. In aller Eile hatte sie deshalb fünfzehn Ave-Maria hintereinander gebetet und den Herrn um Verzeihung dafür gebeten, dass sie dem Dämon der Rachsucht Platz in ihren Gedanken eingeräumt hatte. Ihr war nicht entgangen, dass Bruder Hermannus mehrere Male mit einem Novizen in den Weinkeller gekommen war. Ob es der gleiche gewesen war, der schon vor einigen Tagen so jammervoll darum gefleht hatte, dass der Mönch von ihm ablassen möge, vermochte sie nicht zu sagen. Was für eine schwarze Seele sich doch in Bruder Hermannus’ Innerem befand. Ein mächtiges Angstgefühl hatte sich in ihrem Körper ausgebreitet bei dem Gedanken, dass der Geistliche eines Tages womöglich auch zu ihr kommen könnte. Doch dies war bislang nicht eingetreten. Überhaupt hatte sie ihn, seitdem er sie hier unten eingesperrt hatte, nicht mehr zu Gesicht bekommen, wofür sie dankbar war.
    Ein Geräusch ließ sie aufhorchen. Hatte nicht eben die Kellertür geknarrt? Angestrengt lauschte sie in die Dunkelheit. Sie war sich sicher, etwas gehört zu haben, konnte aber weder die über die Stufen schlurfenden Ledersohlen Bruder Adolfus’ noch das schleifende und kratzende Geräusch, das zu hören war, sobald die Mönche Weinfässer im Keller verschoben, ausmachen. War es Bruder Hermannus, der sich wieder einen Novizen zu Willen machen wollte? Nein, das ginge keinesfalls lautlos vonstatten. Und doch konnte sie die Anwesenheit eines Menschen geradezu körperlich spüren. Einen Lidschlag lang überlegte sie, laut zu rufen und zu fragen, wer dort draußen sei. Doch ein banges Gefühl riet ihr zur Vorsicht. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Ob Bruder Hermannus jemanden geschickt hatte, um sie zu ermorden? Welchen Grund könnte ein Besucher sonst haben, sich anzuschleichen?
    Anna wagte kaum zu atmen. Im flackernden Licht der Fackel sah sie sich nach einem Gegenstand zur Verteidigung um. Doch außer der Pritsche mit der dünnen Decke darauf und dem Eimer, der eine Handbreit mit Urin gefüllt war, befand sich nichts Verwendbares in ihrer Zelle. Schnell griff sie nach dem Eimer und zog ihn dicht vor sich, nachdem sie sich in die hinterste Ecke verkrochen hatte. Zwar würde man sie auch in ihrer Ecke sofort entdecken, aber sie würde von hier aus zumindest die kurze Zeit, die ihr Gegenüber brauchte, um sich zu orientieren, dazu nutzen können, ihrem Angreifer den Urin ins Gesicht zu schütten und die Gelegenheit zur Flucht zu nutzen.
    Dumpf spürte sie ihr Herz pochen, während sie den Rand des Eimers fest umklammert hielt.
    Sie hörte ein leises Scharren vor der Tür. Ihre Finger krallten sich noch fester um den Eimer.
    »Anna?« Die Stimme auf der anderen Seite der Tür war kaum mehr als ein Flüstern.
    Anna erkannte sie nicht gleich.
    »Anna, bist du da drin?«
    Gawin! Eilig stellte sie den Eimer ab und hastete zur Tür hinüber. Sie reckte sich und sah durch das Gitter.
    »Gawin! Du bist gekommen!«
    »Mein Gott, du bist tatsächlich hier eingesperrt. Und ich dachte, du wärst fortgegangen.«
    »Scht!«, machte Anna. »Nicht so laut.«
    Er senkte seine Stimme. »Warum bist du hier unten? Ich wusste nichts davon, sonst wäre ich sofort gekommen.«
    »Ich weiß«, sagte Anna sanft. »Hast du einen Schlüssel, um mich hier herauszuholen?«
    Gawin zögerte. »Nein«, bekannte er. »Ich habe ja bis eben noch nicht einmal geglaubt, dass du wirklich hier unten festsitzt. Warum hat man dich hier eingesperrt?«
    Anna seufzte tief. »Ich weiß es wirklich nicht.«
    »Hab keine Angst. Ich werde dich hier herausholen. Bruder Hermannus scheint mir sehr gewogen. Ich …«
    »Nein!« Anna hatte das Wort fast geschrien, nun fügte sie leiser hinzu: »Bruder Hermannus war ja derjenige, der mich eingekerkert hat.«
    Gawin schwieg. Er öffnete den Mund und schloss ihn dann wieder, ohne einen Ton hervorgebracht zu haben. Vorsichtig tastete er mit den Fingern durch das Gitterfenster der Tür. Anna legte ihre Hand auf die seine.
    »Bruder Adolfus sagte mir,

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