Die dunkle Armee
Cygalius aber gewann unter dem aufmunternden Nicken von Mirron seinen Mut zurück, und am Ende hatte er ganz vergessen, wer hinter ihm saß.
»Gut«, lobte Mirron ihn. »Sehr gut.«
Jhered beugte sich zu Herine. »Wie in alten Zeiten. Ein Aufgestiegener spricht, und ich habe keine Ahnung, wovon die Rede ist.«
»Ruhe da hinten«, sagte Mirron.
»Entschuldigung, Frau Lehrerin. Es wird nicht wieder vorkommen«, sagte Jhered.
Die Schüler lachten laut, und Mirron klatschte in die Hände.
»Also gut, Leute. Wie ihr seht, habe ich gleich eine Besprechung, deshalb dürft ihr jetzt gehen. Ich möchte, dass ihr alle Arducius’ Texte über das Verstärken von Regenwolken lest und euch auf eine praktische Übung mit ihm selbst vorbereitet, die in zwei Tagen stattfinden wird. Heute habt ihr eure Sache gut gemacht, und bevor ihr fragt: Ihr werdet bald nach draußen gehen und für andere arbeiten können. Sehr bald schon. Nun geht.«
Herine blieb neben Jhered stehen, während die Schüler den Raum verließen und salutierten. Jhered erwiderte den Gruß, und schließlich verlor sich ihr Geplapper draußen auf dem Flur.
»War das Euer Ernst, dass sie bald draußen arbeiten sollen?«, fragte Henne.
»Wir beobachten sie seit einer Jahreszeit«, erwiderte Hester. »Sie haben binnen eines Jahres außerordentliche Fortschritte gemacht. In psychologischer Hinsicht sind sie bereit, allerdings fehlt es ihnen noch ein wenig an Genauigkeit.«
»Gut, gut«, sagte Herine. »Darüber sprechen wir im Laufe der Konferenz. Wo sind die anderen?«
»Im Kanzleramt«, sagte Mirron. »Nach Euch, meine Advokatin.«
Das Kanzleramt hatte nichts von seiner Pracht verloren. Wandbehänge und Gemälde hingen an gemaserten Marmorwänden und zeigten die Ruhmestaten des Allwissenden. Statuen und Büsten standen in großen Galerien rings um prächtige Gärten, in denen plätschernde Springbrunnen eine idyllische Atmosphäre schufen. Alle Möbelstücke waren mit tundarranischen Stoffen und morasischem Leder gepolstert, und auf jeden Sims waren Zitate aus den Schriften gemeißelt. Die Tische, Schreibtische und Bettgestelle bestanden aus sirranischem Holz. Felice Koroyan hatte zweifellos die schönen Dinge des Lebens zu würdigen gewusst. Keine der Inschriften, die sie für das Kanzleramt ausgewählt hatte, verlangte Abstinenz. Jedenfalls nicht von den Würdenträgern des Ordens.
Sie wurden in ein kleines Esszimmer geführt, dessen Fenster einen offenen, mit Netzen überspannten Steingarten überblickte, wo Dutzende kleiner Vögel flatterten und ein Wasserlauf anmutig über schön behauenen Stein plätscherte. In einem tiefen Teich dösten Karpfen.
Auf dem mittleren Tisch standen Essen und Wein bereit. Ossacer und Arducius saßen schon dort und redeten miteinander. Mirron gesellte sich aus alter Gewohnheit zu ihnen. Herine nahm auf einem einfachen Stuhl Platz, während Jhered lieber stehen blieb und zum Steingarten hinausblickte. Hesther verabschiedete sich, da die Unterrichtszeit noch nicht vorüber war.
»Ihr habt hier überhaupt nichts verändert«, bemerkte Herine, während sie die Statuen, die Möblierung und die Wandbehänge betrachtete.
»Wir sind hier nur Mieter«, erklärte Ossacer. »Eines Tages wird hier wieder ein Kanzler leben, und wir werden mit ihm zusammen unter dem Antlitz des Allwissenden hier sitzen und speisen.«
»Das wird aber noch eine Weile dauern«, wandte Herine ein.
»Wir können dafür beten«, sagte Arducius.
»Ich fürchte, das wird vielleicht nicht ausreichen, aber wir müssen unsere theologischen Debatten wohl auf einen anderen Zeitpunkt verschieben.«
Herine hielt inne und betrachtete die Aufgestiegenen. Alle hatten Mühe, sich auf die Neuigkeiten einzustellen, was Herine durchaus nachfühlen konnte.
»Ich weiß nicht recht, wo ich beginnen soll«, sagte sie. Dann lächelte sie. »Vielleicht beginnen wir einfach daheim.«
»Was wollt Ihr wissen?«, fragte Arducius.
Herine winkte in Richtung des Palasts. »Vorhin eröffnete mir der dornosianische Botschafter, dass Dornos die Konkordanz verlassen will. Er gibt natürlich den Steuern die Schuld, aber ich glaube, in Wahrheit beschuldigt er Euch und Eure Wirkung auf die gewöhnlichen Bürger, die verwirrt zuschauen, in welche Richtung sich unsere Religion entwickelt. Sagt mir, hat er recht damit? Ich habe gehört, was mein Schatzkanzler zu sagen hatte. Aber was sagt Ihr dazu? Zerreißt der Aufstieg die Konkordanz? Verliere ich mein Volk, weil ich mich entschieden
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