Die dunkle Armee
wich zum Fenster zurück. Es musste eine Sinnestäuschung sein.
»Wer ist da?«, fragte sie.
Es war keine Täuschung. Sie konzentrierte sich und erkannte vor sich die Energiebahnen eines Menschen.
»Noch einen Schritt, und ich verbrenne Euch, wo Ihr steht.«
»Das sind aber harte Worte, meine liebe Mirron. Und leere Drohungen. Woher willst du denn in einem kalten, dunklen Raum wie diesem die Energien nehmen? Und was soll es nützen? Kein Aufgestiegener kann durch deine Flammen verbrennen.«
Mirron schoss das Blut so heftig in den Kopf, dass ihr schwindlig wurde. Jegliche Kraft verließ ihren Körper, und sie sank auf den Steinboden und musste sich am Bettrahmen festhalten, um nicht ganz umzufallen.
Er kam langsam und mit ausgestreckter Hand näher. In seiner Energiestruktur konnte sie die kaum gezügelte Kraft erkennen, vor ihrem inneren Auge schien er in Flammen gehüllt zu sein. Ja, er war es. Diese Signatur würde sie nie vergessen. Sie wich vor seiner Hand zurück und öffnete den Mund, brachte aber kein Wort heraus.
»Weiche mir nicht aus, ich bin nicht dein Feind«, sagte Gorian.
Ihr Blick klärte sich wieder, und nun schälte sich sein Umriss aus dem Halbdunkel heraus und legte sich über die Energiestruktur. Erinnerungen rasten durch ihren Kopf. Schönheit und Macht. Das Lächeln, das sie dahinschmelzen ließ. Die Berührung unter den Genastrofällen. Der Zorn in diesen Augen.
»Du kannst nicht hier sein«, sagte sie. »Das ist unmöglich. Geh weg.«
Er kam näher. Sie richtete sich mühsam wieder auf und zog sich tastend rückwärts bis zu den Fensterläden zurück. Weiter konnte sie nicht ausweichen. Ihr Herz hämmerte so laut in ihrer Brust, dass ihr beinahe übel wurde. Sie bekam einen Schweißausbruch, ihre Beine zitterten unkontrolliert, sie rang um Atem.
»Warum hast du Angst?« Gorian runzelte die Stirn. »Ich könnte dir niemals etwas tun. Dir noch nicht, Mirron. Der einzigen Frau, die ich je geliebt habe. Der Mutter meines Kindes.«
Mirron keuchte, sie wollte um Hilfe schreien, aber in ihr war nichts außer einer nackten Angst, die sich wie ein dickes Tuch über sie legte und alles andere ausblendete.
»Wie konntest du …«
»Oh Mirron, glaubst du denn, König Khuran habe in Estorr keine Augen? Ich weiß, was hier vor sich geht. Ich kenne die Arbeit, die du mit meinen Brüdern in der Konkordanz tust. Endlich nimmt der Aufstieg den ihm gebührenden Platz ein. Ich bin auf euch alle stolz, aber besonders auf dich. Du hast unseren Sohn allein erzogen. Er wird große Gaben besitzen. Nein, er besitzt sie sogar jetzt schon.«
»Du darfst ihn niemals sehen und nie Verbindung mit ihm haben.« Endlich fand sie ein wenig Mut in sich.
»Sei nicht so dumm. Was glaubst du wohl, warum ich hier bin?«, fragte Gorian lächelnd.
»Dann war die Prophezeiung richtig«, flüsterte sie. »Du willst meinen Sohn holen.«
»Und dich.«
»Lieber würde ich sterben, als …« Mirron schüttelte den Kopf. »Was hast du gesagt?«
»Du musst doch gewusst haben, dass ich zu dir zurückkommen würde, Mirron. Ich liebe dich, ich habe dich immer geliebt. Und du hast immer mich geliebt.«
In Mirron wuchs etwas heran, das stärker war als jede Angst. Sie stürmte los und stieß ihn so kräftig fort, dass er taumelte und sich am Bettgestell festhalten musste.
»Ich habe gehofft, du wärst tot«, fauchte sie. »Du hast mich vergewaltigt und bist weggelaufen, du Bastard. Du hattest Angst, dich zu stellen. Zehn Jahre lang hatte ich Zeit, mit dem zu leben, was du mir angetan hast. Ich habe jetzt ein neues Leben, die Akademie und meinen Sohn. Von dem Augenblick an, als du weggelaufen bist, hattest du nichts mehr mit meinem Leben zu tun. Nie wieder wirst du damit zu tun haben. Ich bin erwachsen geworden, Gorian. Warum nicht auch du?«
Gorians Miene verhärtete sich, und seine Energiebahnen färbten sich zu einem bösen Dunkelrot.
»Ich kenne dich Mirron. Ich weiß, dass es nicht wahr ist.«
»Ich war vierzehn«, fauchte sie mühsam beherrscht. »Du wusstest nichts über mich. Wie kannst du es wagen, hierherzukommen und zu erwarten, dass ich deinen kindlichen Fantasien nachgebe? Du machst mir keine Angst, Gorian. Trotz deiner Klugheit hast du keinen Mut. Der Mut ist es, der die Kunde über den Aufstieg trotz aller Narben des Hasses verbreiten hilft. Er bringt denen die Wahrheit, die nicht sehen können und fürchten, was sie nicht verstehen.«
Sie starrte ihn an und stellte auf einmal fest, dass sie ihn beinahe
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