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Die dunkle Macht des Mondes

Die dunkle Macht des Mondes

Titel: Die dunkle Macht des Mondes
Autoren: Susan Krinard
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ist nicht die beste Sorte”, sagte sie, “aber hoffentlich finden Sie ihn auch nicht zu enttäuschend.”
    Dorian nahm ein Glas, achtete diesmal besonders darauf, sie nicht zu berühren, und starrte in die dunkelrote Flüssigkeit. “Warum glauben Sie, ich würde den Unterschied zwischen gutem und schlechtem Wein erkennen?”
    “Sie sprechen wie ein gebildeter Mann.”
    “Das beweist kaum etwas.”
    Sie sah ihn über den Rand ihres Glases hinweg an. “Wo sind Sie zur Schule gegangen?”
    Der Wein wurde ihm im Mund sauer. Es fiel ihm schwer, ihn zu schlucken.
    “Meine Vergangenheit hat Ihre Aufmerksamkeit nicht verdient, Miss Murphy.”
    “Das lassen Sie meine Sorge sein.” Sie wickelte den übrig gebliebenen Käse und das Fleisch wieder ein und steckte beides zurück in den Korb. “Sie haben ein College besucht. Sie haben einen Beruf gehabt, der sowohl Talent als auch Intelligenz von Ihnen verlangte”.
    Dorian spürte, wie eine Welle aus Fatalismus über ihm zusammenschlug. Gwen Murphy würde nicht aufgeben. Er konnte sie nicht zwingen zu verschwinden, ohne Gewalt anzuwenden, und er war bereits zu nahe daran, die Kontrolle ganz zu verlieren.
    “Ich habe kein College besucht”, sagte er und stellte sein Glas ab. “Ich wurde in Hell’s Kitchen geboren und habe eine öffentliche Schule besucht, bis ich zehn Jahre alt war. Danach habe ich in einer Fabrik gearbeitet. Es gab weder Zeit noch Geld für höhere Bildung.”
    Gwen warf ihm, ein Sandwich auf halbem Weg zu ihrem Mund, einen Blick zu. “Na”, sagte sie endlich, “das ist eine der längsten Ansprachen, die Sie seit unserem ersten Treffen gehalten haben.”
    “Ich nehme an, sie beschwichtigt Ihre Neugierde.”
    “Eigentlich nicht. Es erklärt nicht, warum ein Kind aus Hell’s Kitchen Wörter wie ‘beschwichtigen’ in einem einfachen Gespräch verwendet.”
    Dorian ertappte sich dabei, wie er die feine Linie ihrer Augenbrauen und den Schwung ihrer Stirn betrachtete. “Es ist möglich, zu lernen, ohne dabei angeleitet zu werden. Es gibt so etwas wie öffentliche Bibliotheken, Miss Murphy.”
    “Haben Sie es so gemacht? Sich alles selber beigebracht?”
    Er zuckte mit den Schultern und achtete darauf, ihr nicht ins Gesicht zu sehen. Sie aß ihr Sandwich auf, klopfte sich die Krümel vom Rock und stand auf. “Sehe ich da etwa Bücher?” Ohne die Antwort abzuwarten, machte sie einen Schritt über ihn hinweg und bückte sich, um eines der Bücher, die er auf der an die Wand gelehnten Planke aufgereiht hatte, in die Hand zu nehmen.
    “
Frankenstein”
, sagte sie und drückte das geschundene Buch gegen die Brust. “Lesen Sie gerne die Klassiker, Mr. Black?”
    “Dann und wann.”
    “Es ist eine traurige Geschichte. Sowohl die Kreatur als auch ihr Schöpfer werden am Ende zerstört.”
    “Ist das so überraschend, Miss Murphy, wenn doch der Schöpfer sich als Gott aufspielt?”
    Sie lächelte ihn an. “Dann sind Sie also nicht nur ein Autodidakt, sondern auch ein Philosoph.”
    “Sie scheinen meine Vorliebe für längere Wörter zu teilen, Miss Murphy.”
    “In meinem Beruf, beim Schreiben für die Zeitung, kann ich sie nicht oft benutzen. Ich habe als Kind oft im Wörterbuch gelesen.”
    Dorian zuckte überrascht zusammen. Er erinnerte sich an das weggeworfene Wörterbuch mit schimmligen, zerrissenen Seiten, das er auf einem Müllhaufen vor dem Mietshaus seiner Eltern gefunden hatte. Er hatte sich selbst mindestens zwei neue Wörter pro Tag beigebracht und ihre Aussprache sorgfältig geübt. Sein Vater hatte ihn deswegen ausgelacht.
    Das bringt dir gar nichts, Junge. Du wirst es nie zu etwas bringen. Nicht, solange du lebst …
    Dorians Vater hatte nicht wissen können, wie lange das noch sein würde.
    “Was haben wir hier noch?”, sagte Gwen, stellte das Buch zurück an seinen Platz und griff sich ein anderes. “Dantes
Inferno
. Mit leichter Lektüre haben Sie es wohl nicht so?”
    “Ich bin am Boden zerstört, dass ich Ihren Unwillen erregt habe.”
    “Nein. Das ist es nicht.” Sie klopfte mit der Kante des Buches gegen ihr Kinn. “Glauben Sie an ewige Verdammnis, Mr. Black?”
    “Und Sie, Miss Murphy?”
    Sie berührte das Kreuz, das an einer silbernen Kette um ihren Hals hing. “Ich glaube an die Möglichkeit der Wiedergutmachung.”
    Die Enge, die Dorian vorher gespürt hatte, kehrte zurück und bedrängte das Herz unter seinen Rippen. “Manche Seelen können nicht erlöst werden.”
    “Sprechen Sie von sich selbst?” Ihre
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