Die dunkle Macht des Mondes
Niemand wollte bei Mike schlecht dastehen.
Joe wusste, dass er so gut wie tot war. Seine eigenen Leute hatten hart gekämpft, um ihr Gebiet zu sichern. Sie waren die letzte Gang gewesen, die noch unabhängig geblieben war, seit die Nineteenth Street Gang damit angefangen hatte, das Armenviertel zu übernehmen. Jetzt waren Joes Leute verstreut oder hatten sich Little Mike angeschlossen. Nur er hatte sich geweigert.
Mike war dabei, an ihm ein Exempel zu statuieren.
Sie legten ihm Handschellen an und hängten ihn mit Haken und Ketten an die Wand eines mit Brettern vernagelten Schlachthauses. Die Nineteenth Street Boys folterten Joe einer nach dem anderen, jeder nach seiner eigenen grausamen Art. Little Mike kam zuletzt. Als er fertig war, war Joe kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren. Seine Brust brannte und machte es ihm kaum mehr möglich zu atmen. Blut floss aus seinem Mund und mehreren Schnittwunden und sammelte sich zu seinen Füßen. Seine Augen waren blind geschwollen, und mehrere seiner Zähne saßen locker. Mindestens einer seiner Arme war gebrochen.
Mike schlenderte auf ihn zu und zog sein Messer. “Ich werde dich schnell umbringen”, sagte er, “wenn du mich Boss nennst.”
Joe spuckte dem Anführer der Gang Blut ins Gesicht. Little Mike grölte und hob sein Messer, um Joes Bauch aufzuschlitzen.
“Halt.”
Die Stimme klang autoritär und hallte von Wand zu Wand wider. Mike wirbelte mit erhobenem Messer herum. Seine Anhänger drehten sich ebenfalls um, aber statt sich dem Eindringling zu stellen, verschmolzen sie mit den Schatten und ließen ihre Waffen stecken.
Der Mann war nicht groß und auch nicht besonders breit gebaut. Er trug einen Zylinder, einen gut geschnittenen Frack, ein leuchtend weißes Hemd und ein perfekt gebundenes Halstuch. Jede seiner Bewegungen strahlte Eleganz aus und deutete auf Reichtum und Macht hin. Sein Gesicht war schön und ganz ohne Furcht. Kein Mann hatte je mehr fehl am Platze gewirkt als dieser.
“Guten Abend”, sagte er und setzte seinen Gehstock mit Goldknauf auf den befleckten Boden. “Ich sehe, dass ihr Jungs euch amüsiert habt.”
Little Mike trat vor. “Und?”, sagte er. “Was geht Sie das an?”
Der Fremde betrachtete Mike wie eine besonders hässliche Ratte. “Du hast dir einen denkbar unpassenden Ort ausgesucht, um deine Geschäfte abzuwickeln”, sagte er. “Wenn du damit weitermachen willst, wirst du für mich arbeiten müssen.”
“Wer zum Teufel sind Sie?”
Dunkle Augen richteten sich auf Mike. “Mein Name ist Raoul Boucher. Ich beanspruche dieses Gebiet im Auftrag meiner … Geschäftspartner.”
Little Mike lachte laut auf. Seine Untergebenen kicherten, aber ihre Belustigung hielt nicht lange an. Sie verstummten, als Mike auf Boucher zuging, eine Kette in einer Hand, ein Messer in der anderen.
“Du hast einen riesigen Fehler gemacht, Schönling”, sagte er. “Wenn ich mit dir fertig bin, wird nichts mehr übrig sein.”
Bouchers glattes Gesicht wurde nicht einmal von einem Hauch der Sorge verzerrt. Er stand einfach da und wartete, bis Mike angriff. Dann, mit einer Bewegung, die fast zu schnell war, als dass Joe ihr folgen konnte, stieß er seinen Stock in Mikes Bauch. Little Mike stolperte und fiel.
“Noch eine Chance”, sagte Boucher, “schließe dich mir an.”
Mike richtete sich wieder auf und stolperte fort. Dabei wischte er sich Blut von der Nase. “Auf ihn!”, kreischte er.
Niemand bewegte sich. Kochend vor Wut, sprang Little Mike noch einmal auf Boucher. Dieses Mal packte der Fremde Mike am Kragen, verlegte seinen Griff dann auf Mikes Hals und drehte seine Hand. Das Geräusch von Mikes brechendem Genick war düster und endgültig.
Boucher ließ die Leiche zu Boden fallen. Die führerlosen Nineteenth Street Boys hoppelten davon wie Kaninchen, nur eine Handvoll von ihnen blieb zurück.
“Nun”, sagte Boucher. Er sah abschätzend zu den übrig gebliebenen Ganoven hinüber. “Ihr bleibt am Leben, wenn ihr tut, was ich sage, ohne Fragen zu stellen. Kommt in zwei Tagen wieder hierher, um Mitternacht, dann werden meine Vasallen euch Anweisungen geben.”
Die Mitglieder der Gang sahen einander unsicher an.
“Geht”, sagte Boucher. Sie rannten. Boucher sah in Joes Richtung. Er schlenderte auf ihn zu und blieb ein Stück entfernt von ihm stehen.
“Wirst du überleben, Mensch?”, fragte er.
Joe zwang seine Zunge, ihm zu gehorchen. “Werde ich”, sagte er heiser, “wenn Sie mich runterlassen.”
Boucher
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