Die dunkle Muse
dann von der Hausherrin und einigen anderen Gästen. Theodor
Fontane, von seinem Feingefühl getrieben, geleitete das Trio zur Tür, wo er sich
ausgiebig der Gouvernante widmete und sie schließlich unter allerlei Freundschaftsbekundungen
entließ.
In ungewohnt
aufgeräumter Stimmung ging Hedwig Lembke mit dem jungen Paar die letzten Meter zum
Wohnhaus des Pastors. Das Dunkelwerden hatte längst schon eingesetzt und die Matthäikirchstraße
lag verlassen da, sodass die Schritte der drei nächtlichen Spaziergänger von den
Mauern der Bürgerhäuser widerhallten. Die Alte schloss die Tür auf und ließ zu Filines
Überraschung den Schlüssel stecken.
»In zwei
Minuten werde ich abschließen«, meinte sie gönnerhaft und verschwand im Dunkel des
Eingangsbereichs.
»Ausreichend
Zeit«, sagte Filine und schlang ihre Arme um Bentheims Hals.
Später,
als er allein auf dem Straßenpflaster stand, öffnete sich im zweiten Stock ein Fenster
und die Pastorentochter warf ihm eines der Bücher herunter, die er ihr vor ein paar
Tagen heimlich zugesteckt hatte: Philipp Galens ›Der Irre von St. James‹. Er fing
es auf und sie schickte ihm eine Kusshand hinterher, als er sich entfernte. Im Lichtkegel
einer Straßenlaterne blieb er stehen, um sich noch einmal umzublicken. Filines Fensterladen
war wieder geschlossen. Doch im Zimmer daneben zeichnete sich ein geisterhaft bleiches
Männergesicht an der Scheibe ab, das in undurchdringlicher Erstarrung auf das Pflaster
herabblickte. Die Kleidung des Mannes war im abgedunkelten Raum nicht zu erkennen,
doch Julius wusste, dass es sich um eine schwarze Pastorentracht handelte.
Siebtes Kapitel
Die nächsten Tage vergingen in träger,
untätiger Stimmung. Der Sommer war brütend heiß und Julius Bentheim feierte mit
Albrecht Krosick das Ende der letzten Rechtsprüfungen. Viele Universitätsinstitute
hatten bereits Ende Juni das Semester abgeschlossen. Lediglich bei den Studenten
der Jurisprudenz dauerten die schriftlichen und mündlichen Examen noch bis weit
in den Juli hinein.
Nach dem
Besuch des Literatursalons bei Fanny Lewald hatte Julius den Kontakt zu Filine kurzfristig
eingeschränkt. Stundenlang büffelte er für die Befragungen. Er las sich in den berühmten
Rose-Rosahl-Fall ein, der in der Strafrechtswissenschaft so intensiv diskutiert
wurde, und lernte ganze Passagen des Code Napoléon sowie des darauf aufgebauten
Preußischen Rechts auswendig. Als die Prüfungen, die seinem Gefühl nach gut verlaufen
waren, hinter ihm lagen, hatte ihn Albrecht zu einem Umtrunk überredet.
»Komm schon,
Julius, das muss gefeiert werden! Mit des Bieres Hochgenuss wächst des Bauches Radius.
Prost!«
Sie saßen
in der Nähe des Spreeufers im Garten einer Kneipe und stießen mit ihren Maßkrügen
an. Der Vorplatz war mit großen Buchen bestanden, die angenehm kühlen Schatten warfen,
und ein paar Straßenmusikanten in der Nähe entlockten ihren Drehorgeln schräge Musik.
»Hast du
Pläne für die Ferien?«
»Vorlesungsfreie
Zeit ist der korrekte Ausdruck.«
»Hast du
Pläne für die vorlesungsfreie Zeit, Albrecht?«
»Ich mache
Ferien.«
Julius lachte.
Die beiden Freunde hatten ausgiebig getrunken und es war abzusehen, dass sie sich
in nächster Zukunft hauptsächlich dem Nichtstun widmen würden. Versonnen hob Bentheim
den Blick und betrachtete die Baumkronen über ihnen.
»Und du?
Keine Aufträge von der Polizei?«, brach Krosick das Schweigen.
»Es ist
Sommer. Da braucht man eher einen Fotografen. Tatortzeichner haben normalerweise
im Winter Hochkonjunktur, wenn die Lichtverhältnisse schwieriger werden.«
»Das stimmt
auch wieder. Aber ich könnte bei Kommissar Horlitz anfragen, ob das Gericht einen
Zeichner braucht. Gib es zu, Julius, das würde dich reizen.«
»Nur bei
einem ganz bestimmten Fall.«
Albrecht
nickte. »Dachte ich es mir doch. Die Verhandlung beginnt in ein paar Tagen. Falls
sich Horlitz nicht erweichen lässt, habe ich einen weiteren Plan in der Tasche.
Ein Gerichtsdiener ist mir noch einen Gefallen schuldig. Ich denke, es lässt sich
einrichten, dass einer der Zeichner kurzfristig offiziell an einer üblen Sommergrippe
erkrankt und du für ihn einspringst.«
Bentheim
sah seinem Freund in die Augen.
»Ein Gefallen?«
Krosick
fuhr mit schelmischer Gebärde in die Hemdtasche und zog ein Bündel Fotografien hervor.
Mit betonter Langsamkeit öffnete er die Bilder zu einem Fächer, den er vor den Augen
der anderen Wirtshausgäste verdeckt hielt. »Ah, hier
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