Die dunkle Seite der Dinge
meisten
Fällen ist die Motivation rein profaner, um nicht zu sagen
monetärer Natur. Es geht schlichtweg um Geld.“
„ Aber wer würde denn
seine Gesundheit für ein paar Kröten aufs Spiel setzen?“
„ Es gibt Menschen, die sich
in finanziellen Notsituationen befinden. Da hätten wir schon
einmal die ersten Kandidaten“, widersprach sie. „Außerdem
sollte dir klar sein, dass wir hier nicht von ein paar Kröten
reden, sondern von mehreren tausend Euros, die man als Proband für
diese Tests erhält.“
„ Ich kann es mir immer noch
nicht vorstellen“, wehrte er ab.
„ Es ist auch schwer
vorstellbar“, stimmte sie ihm zu.
Der Kommissar lehnte sich zurück.
„Aber die Wirkstoffe werden ja zuvor an Tieren getestet, dann
sind sie vermutlich auch relativ sicher und es kann nicht ernsthaft
etwas passieren.“
„ Da muss ich dich leider
enttäuschen“, schüttelte Franziska den Kopf. „Ein
Restrisiko bleibt bestehen. Es kann immer etwas schiefgehen. Menschen
können sogar sterben. Erst vor wenigen Jahren hat es einen
ziemlich spektakulären Fall in England gegeben.“
„ Jetzt, wo du es erwähnst,
erinnere ich mich. Die Zeitungen waren voll davon.“
„ Ja, der Fall war weltweit
in den Schlagzeilen. Insgesamt waren acht kerngesunde Männer in
ein Londoner Krankenhaus hinein marschiert, um an einem Test für
ein Mittel gegen rheumatische Arthritis, Leukämie und Multiple
Sklerose teilzunehmen. Der Wirkstoff hieß TGN 1412 und wurde
von der deutschen Firma TeGenero entwickelt. Nach drei Tagen sollte
der Test beendet und jeder der Männer um 2000 Pfund reicher
sein. Nicht schlecht, würde ich sagen. So viel Geld verdienen
andere noch nicht einmal in einem Monat.“
„ Wurde nicht einer der
Männer später als Elefantenmensch bezeichnet“,
erinnerte sich Wellinger.
„ Ja, sein Kopf und seine
Gliedmaßen waren nach der Abgabe des Wirkstoffs überdimensional
angeschwollen. Ein anderer Mann hatte Herzrasen, sein Blut verklumpte
und er wurde vor Schmerzen beinahe wahnsinnig. Einem dritten mussten
sie, so weit ich mich erinnere, Zehen und Finger amputieren. Nur zwei
Probanden sind mit dem Schrecken davon gekommen, weil sie Placebos
bekommen haben. Bei diesen Tests ist es zu Vergleichszwecken üblich,
einem Teil der Probanden ein Scheinmedikament zu geben.“
„ Aber warum ist das
Experiment denn so schief gegangen? Hat man das Mittel denn nicht
vorher an Tieren getestet?“
„ Doch, an Affen, aber die
haben überhaupt nicht oder nur minimal darauf reagiert, obwohl
die Dosis, die man den Tieren verabreicht hat, viel höher
bemessen war. Das hat die Wissenschaftler wahrscheinlich unvorsichtig
werden lassen, denn man hat zum einen den Fehler gemacht, den Männern
den Wirkstoff zu spritzen, obwohl die Affen die Substanz über
einen längeren Zeitraum durch einen Tropf verabreicht bekommen
haben. Zum anderen hat man den Männer das Mittel relativ zeitnah
injiziert. Normalerweise geschieht die Abgabe an die einzelnen
Testpersonen extrem zeitversetzt, so dass man den Versuch notfalls
abbrechen kann, wenn die ersten Probanden negative Reaktionen zeigen
sollten. Das war bei dieser Versuchsreihe sogar der Fall, doch obwohl
der erste Proband schon nach fünfzehn Minuten heftige Symptome
zeigte, hat man die anderen Männer noch gespritzt.“
„ Aber jemand muss doch den
Ablauf dieser Versuche kontrollieren?“, ereiferte sich
Wellinger. „Für diese Tests gibt es doch Gesetze und
Richtlinien oder etwa nicht?“
Erstaunt sah Franziska ihn an.
„Ja, natürlich gibt es die, aber das muss nicht heißen,
dass sich jeder daran hält“, sagte sie bitter. „Immer
wieder kommt es vor, das die Interessen der Pharmaindustrie mehr
Berücksichtigung finden als die Unversehrtheit des Einzelnen.“
„ Ich kann das nicht
glauben, das darf doch nicht sein“, widersprach er.
Franziska stieß hörbar
die Luft aus. „Sei mir nicht böse, Carsten, aber du bist
ganz schön naiv, besonders, wenn man bedenkt, dass du ein
Kriminalhauptkommissar bist.“
Wellinger biss sich auf die
Unterlippe und beschwichtigend legte sie ihre Hand auf seinen Arm.
„ Entschuldige, ich wollte
dich nicht beleidigen.“
„ Schon gut“, brummte
er. „Welchen Anteil hat denn die Pharmaindustrie?“ Seine
Neugierde war ehrlicher Natur.
„ Einen beträchtlichen,
um nicht zu sagen, den entscheidenden“, erwiderte sie wütend.
„Es fängt damit an, dass die Pharmakonzerne bestimmen,
welche Krankheit würdig ist, mit einem neuen Medikament
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