Die dunkle Seite des Sommers (German Edition)
alle
Familienmitglieder gemeinsam versuchen müssen, das Geschehene aufzuarbeiten.
Schließlich lief niemand grundlos weg.
Die Morgenbesprechung hielten die
Beamten so kurz wie möglich. Hackenholt brannte es unter den Nägeln, der Schule
einen Besuch abzustatten. Obwohl es im Fall des toten Obdachlosen seit dem
gestrigen Nachmittag keine neuen Erkenntnisse gab, war es bereits nach halb
zehn, als endlich auch der letzte Mitarbeiter des Kommissariats dargelegt
hatte, woran er gerade arbeitete und was heute auf seinem Programm stand.
»Wenn wir in der Schule noch mit
ein paar Leuten reden wollen, sollten wir uns schleunigst auf den Weg machen.
So kurz vor den Ferien und bei der Hitze werden die bestimmt nicht den normalen
Unterricht durchziehen«, brummte Hackenholt.
»Damit könntest du recht haben«,
stimmte ihm Wünnenberg zu und erhob sich. Bevor sie das Kommissariat verließen,
steckte er nochmals den Kopf ins Besprechungszimmer und drohte Saskia Baumann
spielerisch mit dem ausgestreckten Zeigefinger: »Und du, lass mir die Finger
von meiner Kaffeekanne! Zu viel kalter Kaffee macht nämlich entgegen der
althergebrachten Meinung nicht schön, sondern das genaue Gegenteil.«
Bevor Saskia mit dem vor ihr
liegenden Kugelschreiber noch nach ihm werfen konnte, lief Wünnenberg schon
schnell in Richtung Treppenhaus davon.
Parkplätze waren am
Thumenberger Weg eine Rarität, also fuhr Wünnenberg kurzerhand auf das Gelände
eines Marktforschungsunternehmens, das an das Schulgebäude anschloss, und
quetschte sein Auto in eine Lücke, die eigentlich einem Firmenmitarbeiter
vorbehalten war.
Er und Hackenholt gingen die
wenigen Schritte durch die Einfahrt zurück zur Straße, wandten sich nach links
und standen vor dem großen hölzernen Portal, das von wildem Wein umrankt wurde.
Dahinter empfing sie eine große Eingangshalle, die von einer breiten steinernen
Treppe dominiert wurde, die zu den oberen Stockwerken führte. Ein kleines
Messingschild wies ihnen den Weg zum Sekretariat.
Die Dame, die sie dort antrafen,
war dieselbe, mit der auch schon Jonas Petzolds Eltern am Vortag gesprochen
hatten. Trotz der Vorwarnung war sie schockiert, dass sich nun sogar zwei
Kripobeamte nach dem Jungen erkundigten. Offenbar erkannte sie erst jetzt den
Ernst der Lage, war dann aber die Hilfsbereitschaft in Person. Trotzdem konnte
sie wenig für sie tun, denn die Klasse von Jonas hatte, genau wie alle anderen
auch, an diesem Vormittag frei. Der Klassenlehrer war ebenso nicht da. Am
Nachmittag stand das alljährliche Schulfest auf dem Programm, zu dem die
Schüler in verschiedene Gruppen eingeteilt worden waren. Manche kümmerten sich
um den Aufbau, manche um den Abbau, andere veranstalteten Spiele oder führten
ein Theaterstück auf. Alle kamen zu Zeiten, die der jeweils zuständige Lehrer
mit ihnen vereinbart und von denen die Sekretärin keine Ahnung hatte.
Allerdings war sie so freundlich und kopierte nicht nur die Klassenliste und
eine, in die alle Coolrider der Schule eingetragen waren, sondern auch die
Adressliste der Lehrer. Mit einem grünen Textmarker strich sie diejenigen an,
die in Jonas Petzolds Klasse unterrichteten.
»Wo wohnt denn der Klassenleiter?«, fragte Wünnenberg, als sie
wieder im Auto saßen.
Hackenholt blätterte in den noch warmen Kopien herum. »In der
Mommsenstraße. Er heißt Hubertus Schmidt und unterrichtet Mathematik und
Chemie. Was für eine grausame Kombination!«
»Was meinst du? Wenn wir schon
in der Ecke hier sind, könnten wir doch schnell einen kleinen Umweg übers
Mercado machen. Dort gibt es einen Metzger, der hervorragende LKW macht. Ich habe ganz schönen
Hunger.«
Hackenholt nickte. Auf ein
LeberKäsWeggla hatte auch er Appetit, schließlich konnte er sich ja nicht
ausschließlich von Bratwurstbrötchen ernähren.
Zwanzig Minuten später schellten
sie bei dem Mathematiklehrer. Er wohnte in einem kleinen Zweifamilienhaus
gegenüber dem Theresien-Krankenhaus. Ein kleiner Mann, kaum einen Meter sechzig
groß, öffnete ihnen. Zu Hackenholts Befremden trug er eine Strickjacke über
einem altmodischen unifarbenen Hemd. Die Beamten stellten sich vor und traten
ein. Im Haus war es zunächst angenehm kühl, im Gegensatz zur Hitze draußen,
doch schon nach wenigen Minuten fröstelte Hackenholt. Vielleicht war aber auch
die Atmosphäre des Wohnzimmers der Auslöser dafür. Ein dunkler, muffiger Raum,
vollgestopft mit alten, wuchtigen Möbeln, die sicher sehr schön ausgesehen
hätten, wären sie
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