Die dunkle Seite des Sommers (German Edition)
passenden Worten, »zu simpel. Zu
alltäglich. Zu einfach. Ohne Weitblick.«
»Aber es muss doch jemanden in
seinem Alter geben, mit dem er sich versteht. Mit dem er über Probleme reden
kann«, insistierte Wünnenberg. »Jeder junge Mensch hat Dinge, die er anderen
mitteilen will, weil er damit alleine nicht klarkommt.«
Die Lehrerin schüttelte den
Kopf. »Nicht Jonas. Und ich wüsste auch niemanden, dem er sich anvertraut haben
könnte. Mit den Jüngeren gibt er sich nur ab, um sich ein bisschen Taschengeld
mit Nachhilfe zu verdienen.« Sie überlegte kurz. »Hm. Sara vielleicht«, meinte
sie dann zögerlich. »Ich erinnere mich, dass ich ihn ein paarmal mit ihr
gesehen habe. Sie ist eine Klasse unter ihm, aber auch bei den Coolridern.
Ansonsten bevorzugt er, glaube ich, Erwachsene. Sein Großvater ist ihm sehr
wichtig. Von dem redet er viel.«
»Und seine Eltern? Was ist mit
denen?«, brachte Hackenholt einen neuen Aspekt ins Spiel.
»Ich weiß nicht so recht. Von
denen hat er noch nie erzählt. Wenn er mit mir redet, geht es meistens um
seinen Großvater. Beispielsweise was sie im Schrebergarten anpflanzen und wie
sie ohne Pestizide auskommen. Letztens hat er gesagt, dass er sich ganz alleine
um den Garten kümmert, bis sein Großvater wieder fit ist, weil sich seine
Eltern nicht dafür interessieren.«
»Ich dachte, der Großvater ist
halbseitig gelähmt und lebt in einem Pflegeheim?« Hackenholt zog erstaunt die
Augenbrauen zusammen.
Nun war es Anke Schilling, die
verdutzt dreinblickte. »Meines Wissens hatte der Großvater im Frühjahr einen
Schlaganfall, das ist richtig. Das hat Jonas auch ziemlich mitgenommen, aber
ich bin davon ausgegangen, dass der alte Mann sich wieder erholt hat. Das mit
dem Schrebergarten hat mir Jonas jedenfalls erst neulich erzählt, als ich ihn
zufällig in der S-Bahn getroffen habe.«
»Erinnern Sie sich, wann das
war?«
»Lassen Sie mich kurz
nachdenken.« Sie schaute angestrengt aus dem Fenster, so als ob ihr die
vorbeiziehenden Schleierwolken helfen könnten. »Vorletzte Woche. Mittwoch oder
Donnerstag.«
»Und was genau hat Jonas Ihnen
da erzählt?«
»Nun ja, ich habe ihn gefragt,
ob er gerade auf dem Weg in den Schrebergarten ist. Er hat genickt und gesagt,
er will ein bisschen nach dem Rechten sehen. Bei der Gelegenheit habe ich ihn
dann auch gefragt, ob es seinem Opa besser geht. Er hat wieder genickt und
gesagt, deswegen hält er ja alles in Ordnung. Für den Großvater, bis der wieder
zurück ist. Ich habe angenommen, dass er noch in der Reha ist.«
»Sie wissen nicht zufällig, wo
der Schrebergarten liegt?«, fragte Wünnenberg.
Die Lehrerin schüttelte den
Kopf. »Nicht genau. Ich war nie dort, obwohl mich Jonas ein paarmal eingeladen
hat. Aber der Garten muss gleich hier hinten an der Landenwiesenstraße sein.
Wenn wir uns außerhalb der Schule begegnen, dann immer in der S-Bahn. Jonas
steigt nämlich auch in Rehhof aus, allerdings biege ich dann nach rechts ab,
während er geradeaus durch die Wohnblocks in Richtung Kleingärten geht.«
Hackenholt machte sich eine
Notiz, dann blickte er auf: »Hat sich der Junge Ihrer Meinung nach in den
letzten Wochen verändert?«
»Hmm.« Die Biologielehrerin zupfte
an einer ihr ins Gesicht fallenden Haarsträhne. »Ich weiß nicht. Nach den
Pfingstferien hat er sich noch einmal ein paar Bücher von mir ausgeliehen, weil
ihm gegen Ende des Schuljahres immer so langweilig ist. Im Unterricht läuft ja
nicht mehr viel. Wenn überhaupt, dann hatte ich den Eindruck, dass er sich noch
häufiger hinter Büchern vergraben hat als sonst. Andererseits auch kein Wunder,
bei dem Sommer, den wir bisher hatten: Das ist ja jetzt die erste Woche, in der
mal länger als zwei Tage hintereinander die Sonne scheint und es richtig warm
ist.«
Hackenholt blieb unschlüssig
vor dem Auto stehen. »Herr Petzold hat doch gestern gesagt, dass es den
Schrebergarten des Großvaters nicht mehr gibt, oder?«
Wünnenberg nickte. »Ja, so habe
ich es auch verstanden. Er hat den Schrebergarten als eine völlig abwegige
Möglichkeit für Jonas’ Aufenthaltsort verworfen. Die Eltern scheinen nicht den
blassesten Schimmer von dem zu haben, was ihr Sohn in seiner Freizeit so treibt
oder herumerzählt.«
Hackenholt zog sein Handy aus
der Tasche und wählte die Nummer der Petzolds. Sofort meldete sich die Mutter.
Ihre Stimme klang atemlos. Hoffnungsvoll. Hackenholt stöhnte innerlich auf, da
er wusste, wie enttäuscht sie sein würde, sobald er sich
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