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Die dunkle Seite des Sommers (German Edition)

Die dunkle Seite des Sommers (German Edition)

Titel: Die dunkle Seite des Sommers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Mohr
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nicht in einen so kleinen Raum gequetscht worden. Die Regale
bogen sich unter dem Gewicht alter Bücher. Ein Umstand, der bei Hackenholt
üblicherweise Begeisterungsstürme hervorrief, doch in diesem Zimmer fühlte er
sich trotzdem nicht wohl. Es war einfach zu verstaubt und muffig.
    »Herr Schmidt, wie eingangs
schon erwähnt, sind wir wegen einem Schüler von Ihnen hier«, eröffnete
Hackenholt das Gespräch. »Es handelt sich um –«
    »Ja, ja, ich weiß schon«, fiel
ihm der Lehrer ins Wort. »Sie kommen wegen Jonas Petzold.«
    Hackenholt sah ihn überrascht
an.
    »Na, das war ja nicht schwer zu
erraten«, meinte Herr Schmidt trocken. »Schließlich ist seine Mutter gestern
Morgen in meinen Unterricht geplatzt, um zu sehen, ob ihr Sohn da ist, und zu
fragen, ob jemand weiß, wo er steckt.« Bekümmert schüttelte er den Kopf. »Wenn
ich mir bei einem Schüler sicher war, dass er keinen Grund zum Weglaufen hat,
dann bei Jonas. Da gibt es schon ganz andere Kaliber in der Klasse. Aber wie
sagt man so schön? Stille Wasser sind tief. Manchmal bewahrheiten sich die
alten Sprüche eben doch. Außerdem hat man ja auch keinen Einblick, was in den
Familien wirklich vor sich geht.«
    »Warum hätten Sie es
ausgerechnet Jonas nicht zugetraut abzuhauen?«, wollte Wünnenberg wissen.
    Der Lehrer legte die
Fingerspitzen aneinander und dachte einen Moment lang nach. »Das ist eine gute
Frage«, seufzte er nach einer Weile. »Meine Meinung zeigt nur, dass ich voller
Klischees stecke. Ich kann Ihnen keinen Grund nennen, außer diesem: Jonas hat
sich bisher immer absolut vorbildlich verhalten, und einem Vorbild traut man
eben nichts Rebellisches zu. Er ist stets höflich und zuvorkommend, kommt nie
zu spät zum Unterricht, macht immer seine Hausaufgaben und hat alle Bücher
dabei. Das ist heutzutage eine Seltenheit.« Er seufzte erneut. »Außerdem ist
Jonas ein Einser-Schüler. Äußerst intelligent und lernt sehr schnell. Am
Nachmittag sitzt er oft mit jüngeren Schülerinnen und Schülern in der
Bibliothek, um sie zu unterstützen. Ich selbst habe ihm ein paar
Nachhilfeschüler vermittelt. Er ist sehr sozial und teilt sein Wissen gerne mit
anderen.«
    »Er muss also keine Angst vor
den bevorstehenden Zeugnissen haben?«, versicherte sich Hackenholt. Auch wenn
der Vater behauptet hatte, sein Sohn sei Klassenbester, wollte er diesen Punkt
vom Klassenleiter bestätigt bekommen. Zu oft wähnten Eltern die schulischen
Leistungen ihrer Sprösslinge am der Realität entgegengesetzten Ende der
Notenskala und wurden erst durch die Zeugnisse auf den Boden der Tatsachen
zurückgeholt, was zumeist einer harten Landung in der Wirklichkeit gleichkam.
    Schmidt winkte ab. Aus dem
Nebenzimmer holte er ein Büchlein und las daraus Jonas’ Zeugnisnoten vor. Die
schlechteste war eine Drei in Musik. Der Rest bestand nur aus Einsern und
Zweiern.
    »Mit wem in der Klasse ist Jonas
befreundet?«
    »Das ist wohl des Pudels Kern.
Ich glaube, er hat keine Freunde. In der Pause geht er meistens in die
Bibliothek und vergräbt sich in einem Buch.«
    »Und neben wem sitzt er im
Unterricht?«, versuchte Hackenholt die Frage anders anzugehen.
    »Er sitzt in der ersten Reihe
ganz rechts außen, an einem Einzeltisch. Seine nächste Nachbarin ist mit
einigem Abstand ein Mädchen namens Lisa.« Gedankenverloren strich sich der
Lehrer über den Mund. »Am letzten Wandertag haben wir einen Ausflug nach
München ins Deutsche Museum gemacht. An die Hinfahrt kann ich mich nicht mehr
genau erinnern, aber auf dem Heimweg saßen Jonas und ein paar andere bei mir im
Zugabteil. Alle haben geredet und gelacht, nur Jonas hat die ganze Zeit still
in einem Museumsführer gelesen.«
    »Wird er von den anderen
gemobbt?«, fragte Hackenholt ernst.
    »Nein. Nein, so weit würde ich
nicht gehen. Ich habe nie einen anderen Schüler aus der Klasse eine abfällige
Bemerkung über Jonas machen hören. Es ist eher so, dass sich niemand für Jonas
interessiert, aber Jonas eben auch die anderen egal sind.«
    »Hat sich der Junge in den
letzten Tagen oder Wochen irgendwie seltsam verhalten?«
    »Zumindest nicht in meinem
Unterricht. Aber reden Sie mal mit meinem Kollegen Michael Lochner. Er
unterrichtet Englisch und Sport in der Klasse. Ich glaube, er hat einen ganz
guten Draht zu Jonas. Nun ja, um ehrlich zu sein, der Kollege wird meistens von
Schülerinnen umschwärmt, aber er ist auch unter den männlichen Schülern recht
beliebt.« Der ältere Lehrer blätterte wieder in seinem

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