Die dunkle Seite des Sommers (German Edition)
meldete und damit ihre
Hoffnung zunichtemachte, der Anrufer sei vielleicht ihr Sohn.
»Frau Petzold, Hackenholt hier.
Ich muss wissen, wo genau sich der Schrebergarten Ihres Schwiegervaters
befindet«, fiel er mit der Tür ins Haus.
»Der Schrebergarten? Der ist in
Rehhof. Aber da kann Jonas unmöglich sein.«
»Die Überprüfung gehört zur
Routine«, log Hackenholt. »Können Sie mir bitte die genaue Adresse geben?«
Das konnte sie nicht, aber
immerhin lieferte sie ihm eine brauchbare Wegbeschreibung. Sie sollten der
Landenwiesenstraße folgen, bis der geteerte Weg in einen kleinen Wendeplatz
überging. Von dort zweigten drei Schotterwege ab. Nach links, rechts und
geradeaus. Auch die Wege links und rechts führten an Kleingärten vorbei, die
Beamten aber mussten dem Weg geradeaus Richtung Wald folgen. Nach fünfzig oder
hundert Metern, im Schätzen von Entfernungen war Frau Petzold noch nie gut
gewesen, kam auf der linken Seite eine alte verrostete Toreinfahrt, und
dahinter lag der Garten, der ihrem Schwiegervater gehört hatte.
»Wer hat den Schlüssel für das
Tor?«
»Das weiß ich nicht. Früher
hatte natürlich mein Schwiegervater einen. Aber ich habe keine Ahnung, was aus
dem Schlüssel geworden ist, als mein Mann den Garten gekündigt hat. Sicher
musste er ihn bei der Verwaltung abgeben.« Sie klang überfragt. »Einzelheiten
kann nur er Ihnen sagen. Allerdings ist er heute wieder in die Arbeit
gegangen.«
»Hatte Jonas einen eigenen
Schlüssel?«
»Ich glaube nicht. Er ist ja
immer mit seinem Opa hingegangen.«
Hackenholt bedankte sich und
beendete das Gespräch. »Der Garten ist gleich ums Eck, am Ende der
Landenwiesenstraße. Auf dem Weg dorthin kommen wir quasi beim Sportlehrer
vorbei.«
Hackenholt verstand auf den
ersten Blick, warum Michael Lochner der Schwarm sämtlicher Schülerinnen war. Er
war zwar nicht übermäßig groß, aber sehr durchtrainiert. Den Sportlehrer sah
man ihm weniger an als den Bodybuilder. Nur mit Shorts bekleidet kam er an die
Tür. Der für Frauen sicherlich sehr ansprechende Eindruck seines muskulösen
Oberkörpers, auf dem nicht ein einziges Härchen spross, wurde durch ein
attraktiv geschnittenes Gesicht mit kurzen dunklen Haaren und intensiven Augen
verstärkt. Ein wenige Millimeter breiter Bart, der sich von der Oberlippe bis
zum Kinn erstreckte und wie die moderne Variante eines König-Ludwig-Bartes aussah,
verlieh Michael Lochner allerdings einen leicht arroganten Zug.
Auch er erschrak, als Hackenholt
ihm erklärte, dass sie wegen Jonas Petzold kamen. Völlig durcheinander vergaß
er, die Beamten hereinzubitten.
»Wenn es Sie nicht stört, würden
wir das Gespräch gerne in Ihrer Wohnung und nicht auf dem Gang weiterführen«,
sagte Wünnenberg ein wenig genervt.
»Oh. Ja. Natürlich. Kommen Sie
doch herein.« Michael Lochner führte sie in ein Wohnzimmer, das eher einem
Fitnessraum denn der landläufigen guten Stube glich. An der Längsseite stand
ein Sofa, auf dem haufenweise Zeitschriften lagen. Den größten Teil des Raums
nahmen ein Schwimmtrainer, ein Crosstrainer und eine Hantelbank ein. An der
gegenüberliegenden Wand hing ein riesiger Plasmafernseher.
»Wenn ich gewusst hätte … Ähm.
Es ist nicht sonderlich aufgeräumt.« Er zuckte entschuldigend mit den
Schultern. »Ich war gerade am Trainieren.«
»Machen Sie sich deshalb keine
Gedanken«, beschwichtigte Hackenholt. »Wir waren schon in ganz anderen
Wohnungen. Nett haben Sie es hier.« Er schob einen Stapel Zeitschriften zur
Seite, um sich zu setzen. Die anderen beiden folgten seinem Beispiel.
»Herr Lochner, wie schon gesagt
kommen wir wegen Jonas. Er ist, wie Sie vielleicht bereits wissen, seit
vorgestern verschwunden.«
Lochner wurde bleich. »Er ist
was? Oh Gott! Nein, das wusste ich nicht.«
»Wir versuchen uns gerade ein
Bild von dem Jungen zu machen, und Ihr Kollege Hubertus Schmidt sagte, dass Sie
sich sehr gut mit ihm verstehen.«
Lochner nickte. »Ja, klar. Jonas
ist ein aufgeweckter und vor allem wissensdurstiger Schüler. Nur schade, dass
er sich so gar nicht für Sport begeistern lässt. Ich habe es immer und immer
wieder versucht, aber er hockt lieber den ganzen Tag irgendwo rum und
verkriecht sich hinter seinen Büchern. Das ist in seinem Alter doch nicht
normal.«
»Mit wem ist Jonas eigentlich
befreundet?«
»Sorry, aber das weiß ich
wirklich nicht. In der Schule ist er bei allen recht beliebt. Er lässt ja auch
die ganze Bande immer abschreiben, und die meinen, wir
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