Die dunkle Seite des Sommers (German Edition)
Wöhrder See geworfen. Ursprünglich hatten
sie den Dutzendteich im Auge gehabt, aber dann hatte Boris behauptet, dass der
im Winter abgelassen wurde.
Als Hackenholt aufschaute, sah
er einen Arzt hinter sich stehen, sein Gesicht eine ausdruckslose Maske.
»Fünf Minuten«, bat er. »Ich
habe nur noch zwei Fragen.«
Der Arzt nickte und ließ sie
wieder allein.
»Okay, Sergej, ich verstehe aber
nicht, warum ihr Jonas nicht einfach im Wald liegen gelassen habt, so wie ihr
es auch mit dem Obdachlosen gemacht habt.«
Der Junge runzelte die Stirn.
»Wen meinen Sie?«
»Heinrich Gruber. Dem der
Schlafsack gehörte und die anderen Tüten. Davon hast du doch vorhin erzählt.«
»Aber ich hab keine Ahnung, wem
die gehört haben«, widersprach Sergej. »Der Schlafsack lag da einfach rum. Als
ich und Boris in die Laube kamen, war niemand dort, auch kein Penner.«
Hackenholt ließ das Gesagte so
stehen. Er hoffte, die Ergebnisse der DNA -Analyse
würden in diesem Punkt Klarheit bringen. Dann wechselte er das Thema und
stellte die letzten beiden Fragen, die ihn so brennend interessierten. »Wo sind
Jonas’ Sachen abgeblieben? Sein Rucksack und die Kleider?«
»Das haben wir alles in einen
Plastiksack gestopft und nahe der Wohnung von Aleksandrs Freundin in eine
Mülltonne geworfen.«
Der Ermittler nickte. »Und was
habt ihr im Keller gemacht, als die Propangasflasche explodiert ist?«
»Wir wollten aus dem Putzmittel
Liquid XTC herstellen. Boris hatte
eine Anleitung im Internet gefunden. Sein Bruder hat ihn unter Druck gesetzt,
weil er neuen Stoff brauchte.«
Hackenholt nickte erneut und
stand auf. »Für den Moment ist das alles, Sergej. Ich gehe jetzt, aber es
bleibt immer ein Polizist in deiner Nähe.«
Hackenholts weiterer
Tagesablauf stand nach dem Besuch im Krankenhaus fest: Er würde die alten
Protokolle lesen und anschließend mit Irina sprechen. Dunkel glaubte er, sich
daran erinnern zu können, dass entweder Sara oder dieses andere Mädchen, auf
deren Namen er gerade nicht kam, etwas über Sergejs Schwester gesagt hatte. Er
musste unbedingt Irinas Rolle in dem Geflecht von Straftaten klären. Hatte
Jonas sie tatsächlich belästigt, oder hatte sie nur versucht, sich an den
Jungen heranzumachen, und dann ihren Bruder auf ihn gehetzt, weil Jonas nichts
von ihr wissen wollte?
Eine Stunde später hatte
Hackenholt die Situation wieder klar vor Augen: Jennifer mit den
Playboy-Häschen war es gewesen, die sich darüber ereifert hatte, dass sich
Irina an Jonas ranschmiss und er zu viel Zeit mit ihr verbrachte. Allerdings
hatte sie sich auch beschwert, weil Jonas angeblich nur Augen und Ohren für
Sara hatte, die wiederum bislang zu diesem Thema schwieg. Hackenholt griff
schon zum Telefonhörer, doch dann hielt er einen Augenblick inne. Ob Sara
inzwischen von Jonas’ Tod wusste? Die im Wöhrder See gefundenen Blumenkübel
waren seit dem Wochenende groß durch die Presse gegangen. Der Name des Opfers
war jedoch, soweit Hackenholt wusste, nicht bekannt geworden, aber hatten
Jugendliche nicht ihr eigenes Netzwerk für Informationen, das auch in den
Ferien funktionierte?
Hackenholt wählte Saras
Handynummer. Sofort sprang die Mailbox an. Er legte auf und versuchte es eine
Viertelstunde später noch einmal. Wieder meldete sie sich nicht persönlich,
sodass er ihr nur eine Nachricht mit der Bitte um Rückruf hinterlassen konnte.
Hoffentlich war sie nicht mit ihren Eltern in den Urlaub gefahren und hatte ihr
Handy zu Hause gelassen. Aber war das realistisch? Eine Jugendliche, die ohne
Telefon verreiste? Wohl eher nicht. Vor allem da die Anbieter gerade erst von
der Kartellbehörde gezwungen worden waren, die Kosten für Auslandsgespräche zu
senken. Außerdem hätte Sara ihm doch sicher von einem Urlaub erzählt, als sie
sich vorgestern nach der Verfolgungsjagd in der Erler-Klinik unterhalten
hatten. Er musste es einfach später erneut versuchen.
Gemeinsam mit Saskia Baumann
machte er sich schließlich auf den Weg in die Giesbertsstraße. Zwar hatte er
ursprünglich vorgehabt, Wünnenberg mitzunehmen, da der auch bei Aleksandrs
nächtlichem Verhör dabei gewesen und somit bestens informiert war, doch jetzt
überwog beim Hauptkommissar das Gefühl, dass es für Irina vielleicht leichter
sein würde, mit einer anderen Frau zu reden – selbst wenn die kein Deutsch,
sondern nur Fränkisch sprach. Außerdem hatte sie Baumann schon bei dem Gespräch
in der Schule kennengelernt.
Noch während Hackenholt das Auto
parkte,
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