Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller
hinzuzufügen. Unter anderen Einträgen tauchte ein Artikel über Schizophrenie auf, den sie interessiert las. Erst der Anruf ihres Vorgesetzten riss sie aus ihrer Lektüre. Mit einigem Bedauern loggte sie sich aus dem Internet aus und stieg in den Mannschaftswagen. Irgendwo in der Stadt hatte man einen alten Menschen leblos in seiner Wohnung aufgefunden.
Am späten Sonntagvormittag wandte sich Paul Dalmate an seine Frau:
»Ich bin dann mal weg. Sicher wird es einige Zeit dauern. Ich komme erst spät zurück.«
»Wo willst du hin?«, fragte sie kühl.
»Ich muss in einer Mordsache etwas überprüfen«, gab er im gleichen Tonfall zurück.
»Am Sonntag? Du hast doch keinen Bereitschaftsdienst.«
»Bei einem solchen Fall kann man es sich nicht aussuchen, wann man ran muss.«
»Du hast schon den ganzen Samstag in deinem Büro verbracht. Zumindest hast du es behauptet.«
»Ich habe es gesagt, weil es die Wahrheit ist.«
»Wann bist du zurück?«
»Das weiß ich noch nicht. Warte nicht auf mich.«
»Ich warte schon lange nicht mehr auf dich, Paul«, erwiderte sie traurig.
Kurz darauf fuhr Paul Dalmate auf die Autobahn A6. Angesichts des flüssigen Verkehrs schätzte er, dass er etwa eine Stunde bis Andreville brauchen würde. In dieses Dorf im Département Seine-et-Marne waren die Anrufe der Dimitrova gegangen.
A USZUG AUS DEN T RAUM - UND T AGEBÜCHERN DES J.-P. B.
1985
Auf jeden Fall werde ich mich mein Leben lang an das Jahr 1985 erinnern. An das Jahr, in dem ich zwanzig wurde. Ich werde es nie vergessen.
Zwei oder drei Monate lang lebte ich in einem besetzten Haus in Spanien. Genauer gesagt: in Barcelona. Wie ich da hingekommen war? Durch reinen Zufall. Ich bin mit dem Zug in Richtung Süden gefahren, mit dem TGV nach Narbonne. Meine Fahrkarte war bezahlt. Am Zielbahnhof stieg ich aus und wusste nicht recht, was ich tun sollte. Ich stand noch auf dem Bahnsteig, als ein Zug nach Spanien hielt. Ohne lange nachzudenken, stieg ich ein und wurde in Figueras von spanischen Kontrolleuren mit Fußtritten wieder hinausbefördert, weil ich kein Ticket hatte. Gut, dann eben Spanien, dachte ich. Wenigstens ist es da warm. Per Anhalter bin ich bis Barcelona gekommen; dort blieb ich hängen. Die Träume von Malaga waren schnell vergessen. In Barcelona gab es Shit im Überfluss. Ich war jeden Tag high. Bald lernte ich zwei riesige Engländer kennen, deren Gesichter überall gepierct und deren Arme von oben bis unten tätowiert waren. Wir haben uns Hunde besorgt und gebettelt. Die Leute gaben uns Geld, weil sie Angst vor uns hatten. Mit einem Mal hatte ich keine Geldsorgen mehr. Wir hatten zu trinken, zu rauchen und lebten in einem besetzten Haus. Was mir am meisten missfiel? Der Dreck. Sowohl mein eigener als vor allem der der anderen. Weil ich meistens betrunken oder high war, achtete ich weniger auf Hygiene. Sobald ich einigermaßen nüchtern wurde, merkte ich es und sauste in die öffentlichen Duschen. Nüchtern konnte ich aber auch niemanden an mich heranlassen. Mein Freund, das Rasiermesser, hauste auf meinem Rücken und beruhigte die Nerven.
Und dann kam DER Traum. Derjenige, der mich begleitet, seit ich träumen kann. Ich war fast nüchtern zu Bett gegangen und fühlte mich wohl, zumal ich gerade eine Dusche genommen und mir saubere Klamotten angezogen hatte. Niemand hatte mich berühren dürfen. Die beiden Engländer hatten nachmittags zwei holländische Ausreißerinnen kennengelernt, die höchstens fünfzehn waren, und vergnügten sich mit ihnen unter den schmutzigen Decken. Ohne mich davon stören zu lassen, dämmerte ich langsam in den Schlaf hinüber und ließ DEN Traum in mich eindringen.
Ich war auf einer Wiese und sah das Haus meiner Mutter, aus dem sie mich hinausgeworfen hatte. Ich schlenderte langsam und ohne Ziel dahin. Es war warm. Die Sonne blendete mich so, dass ich blinzeln musste. In dem verdorrten Gras sprangen Heuschrecken vor meinen Füßen davon. Und dann sah ich ihn. Er ging langsam die Straße entlang. Ich glaube, er drehte sich zu mir um, aber er war zu weit weg, als dass ich sein Gesicht hätte sehen können. Ich beschleunigte meine Schritte und lief zur Straße. Als ich sie erreichte, war er etwa dreißig Meter vor mir. Natürlich begann auch er, zu laufen. Ich kam am Haus meiner Mutter vorbei. Sie stand an der Hecke neben der Straße und rief mir aufgeregt zu: »Es nützt nichts. Bleib stehen. Du darfst das nicht. So war es nicht geplant.«
Ich rannte weiter. Ich hatte den
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