Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller
würde. Sie wirkte völlig aus dem Häuschen. Ganz bestimmt hatte sie irgendetwas Besonderes herausgefunden.«
»Mehr hat sie Ihnen nicht dazu gesagt?«
Calderone blickte Dalmate an – eine stumme Aufforderung, ebenfalls Fragen zu stellen.
»Nein, gar nichts. Sie sprach nie über die Themen, an denen sie arbeitete. Aberglaube, wissen Sie? Meist präsentierte sie ihre Ergebnisse erst im letzten Augenblick, wenn alles in trockenen Tüchern war. Aber ich glaube, dass sie an einer großen Sache dran war. Sie drängte mich geradezu. Ich sollte sowohl fotografieren als auch filmen. Das ist eigentlich schon alles. Aber Vorsicht, es handelt sich um meine ganz persönlichen Eindrücke.«
»Gut. Der Kommissar« – Mistral wies auf Dalmate – »wird Ihre Aussage aufnehmen. Vielen Dank.«
Die beiden Beamten und der Fotograf wollten gerade Mistrals Büro verlassen, als dieser Dalmate noch einmal zurückrief.
»Paul, ich hoffe, Sie sind mit dem Freund der Dimitrova gesprächiger, als Sie es eben hier waren. Denken Sie an das, was ich Ihnen heute Morgen gesagt habe.«
Es war kurz nach eins, und Mistral fühlte sich hundemüde. Als sein Handy vibrierte, hätte er das Gespräch am liebsten auf die Mailbox umleiten lassen, denn er erkannte die Nummer. Doch dann seufzte er und nahm es widerstrebend an.
»Hallo Herr Doktor, nett, dass Sie anrufen.«
»Ich bin gerade in der Nähe und wollte fragen, ob Sie Zeit haben, mit mir zu Mittag zu essen?«
»Also wissen Sie, wir arbeiten da gerade an einer sehr kniffligen Mordserie ...«
»Verstehe. Wenn Sie wollen, können wir irgendwo in der Umgebung essen. Aber ich will mich natürlich keinesfalls aufdrängen. Wir können es auch auf ein anderes Mal vertagen.«
»Wer weiß, wie die nächsten Tage werden. Hektisch, nehme ich an. Jede Wette, dass Sie schon vor dem Präsidium stehen.«
»Gewonnen.«
»Okay, ich komme.«
Vor Calderones Büro blieb Mistral stehen.
»Vincent, ich gehe mit Jacques Thévenot essen. Und ich glaube, ich weiß auch, wer mir den Mann hergeschickt hat.«
»Seien Sie ihr nicht böse – sie tut es, weil sie sich Sorgen um Sie macht. Jedenfalls guten Appetit.«
14
A M GLEICHEN T AG
Der Mann war auf dem Heimweg. Er ging langsam. Die Hitze, die offenbar kein Ende nehmen wollte, ermüdete ihn. Er hielt sich, wenn möglich, im Schatten auf. Ihn erfüllte eine geradezu besessene Begierde, bei FIP anzurufen, doch er wusste, dass er das vergessen konnte – wahrscheinlich würde man ihn auf immer und ewig daran hindern, eine der Moderatorinnen zu sprechen. Immerhin hätte man ihn beinahe geschnappt, und er war sicher, dass die Falle auch weiterhin offen war. Trotzdem brauchte er diese Stimmen, die er vielleicht besser verstand als jeder andere. Jetzt musste er erst einmal Zeit verstreichen lassen – allerdings nicht zu viel – und dann eine andere Möglichkeit finden. Zum Beispiel konnte er sich zu einer Besichtigungstour des Maison de la Radio anmelden. Warum eigentlich nicht? Die Idee war nicht schlecht. Wenn er erst einmal so weit vorgedrungen war, würde er sich nicht mehr abweisen lassen. Auf gar keinen Fall. Er hatte noch nie im Leben aufgegeben.
Die Rue de Budapest war fast menschenleer. Ein Sexshop kündigte im Schaufenster in großen Lettern Prozente auf DVDs an; zwei oder drei Restaurants waren geöffnet. Der Mann hatte Hunger. Allein die Vorstellung jedoch, irgendwo außerhalb seiner Wohnung Nahrung zu sich zu nehmen, stieß ihn ab. Vor allem jetzt. Er stellte sich vor, wie die Köche mit schmutzigen Händen ekelerregende Lebensmittel begrapschten. Zu Hause angekommen verriegelte er die Tür hinter sich, trank eine ganze Flasche Wasser mit einem Zug leer, nahm zwei Tegretol und aß ohne Appetit einige hart gekochte Eier.
Wenige Minuten später klappte er den Laptop der Dimitrova auf und las die Texte ihrer Recherchen zum sechsten oder siebten Mal durch. Er verspürte nicht die geringste Gefühlsregung. Schließlich klappte er den Rechner endgültig zu, steckte ihn in einen soliden, grünen Müllsack und beschloss, ihn in die Seine zu werfen.
Mistral und Thévenot aßen auf der Terrasse eines Restaurants ganz in der Nähe des Quai des Orfèvres zu Mittag. Es war so heiß, dass man leicht Platz auf den Terrassen fand. Sie waren leer wie das ganze Viertel, wo sich sonst die Touristen tummelten. Jetzt saßen sie lieber in klimatisierten Speisesälen.
Mistral hatte lächeln müssen, als er aus dem Präsidium kam. Thévenot sah mit seinem Panamahut
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