Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller
haben wir gefunden. Die beiden Männer schwören Stein und Bein, dass sie die Handys in diesem Zustand erhalten haben und dass es ihnen völlig egal ist, ob es Telefonbucheinträge gibt oder nicht.«
»Dachte ich mir fast. Wissen Sie, was mir Sorge bereitet, Vincent? Während der Festnahmen heute Nacht hatte ich eine komplette Blockade, als der Kerl mich mit dem Messer bedroht hat.«
»Ich weiß, was Sie meinen. Aber ich denke, das ist völlig normal. Die Sache ist noch zu frisch. Es braucht sicher eine gewisse Zeit, ehe man über so etwas hinwegkommt.«
»Jedenfalls danke für Ihre prompte Reaktion. Aber um auf unsere Tatorte zurückzukommen: Ich weiß jetzt, was die Unstimmigkeit ist, nach der wir gesucht haben.«
Calderone pustete in seinen Kaffee und sah Mistral fragend an.
»Die Zimmer, in denen die Verbrechen geschehen sind, wurden nachträglich aufgeräumt. Kein Durcheinander, keine umgeworfenen Tische und Stühle. Alles ist in Ordnung, man sieht nicht die Spur eines Kampfes, obwohl der Gerichtsmediziner gesagt hat, dass die Opfer sich heftig gewehrt haben müssen.«
»Sie glauben, der Kerl hat vor dem Verlassen der Wohnung aufgeräumt?«
»Davon bin ich überzeugt.«
»Aber warum?«
»Passen Sie auf, das war noch nicht alles. Ich habe mir noch einmal alle Protokolle vorgenommen. In allen sechs Fällen hat er zwar in den Schlafzimmern das Unterste nach oben gekehrt, aber er hat weder die Küche noch das Bad betreten. Und die Wohn- oder Esszimmer, wo die Leichen gefunden wurden, waren immer sorgfältig aufgeräumt – sowohl in Pontoise als auch bei uns.«
»Das stimmt. Trotzdem begreife ich nicht, worauf Sie hinauswollen.«
»Ich glaube, der Täter hinterlässt die Zimmer so, wie er sie gern gehabt hätte. Vermutlich unbewusst. Er ist ein Ordnungsfanatiker, bei ihm muss alles pieksauber sein. Seit dem Mord an Chantal Colomar ist mir diese Besonderheit nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Nachdem die Spurensicherung Blue Star gesprüht hatte, konnten wir feststellen, dass alle Blutspuren des Opfers sorgfältig aufgewischt waren. Er wollte das Zimmer sauber hinterlassen. Nur in den Schlafzimmern lässt er seine Wut aus. Aber welche Art von Wut – dafür gibt es bestimmt Dutzende Interpretationsmöglichkeiten.«
»Ehrlich gesagt ist mir das nicht aufgefallen.«
»Bestimmt habe ich auch noch vieles übersehen.«
»Mir ist schon öfter aufgefallen, dass der psychologische Aspekt unserer Fälle Sie ganz besonders interessiert. Deswegen haben Sie sicher auch die Fortbildung beim FBI in Quantico gemacht, nicht wahr?«
»Schon, aber nicht nur deswegen. Was die Analyse kriminellen Verhaltens und die Untersuchung von Tatorten angeht, sind uns die Amerikaner um vierzig Jahre voraus. Bei der Fortbildung waren wir vier Franzosen, und die Art und Weise, wie Ermittlungen geführt werden, hat uns am meisten interessiert.«
»Suchen Sie nach Übereinstimmungen mit den Fällen, die man Ihnen dort vorgestellt hat?«
»Ja und nein. Es gibt keine zwei gleich gelagerten Fälle. Das wäre zu simpel.«
Nachdem Calderone wieder gegangen war, um die Verhöre der festgenommenen Pakistani zu überwachen, stürzte sich Mistral erneut in die langweilige Lektüre der Ermittlungsakten. Allmählich wurde er müde und ertappte sich immer wieder beim Gähnen. Er ging in den Waschraum und spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht, um die Benommenheit zu verscheuchen. Doch nur wenige Minuten später musste er erneut gähnen. Also beschloss er, sich eine Stunde Ruhe zu gönnen. Er programmierte den Wecker in seinem Telefon und versank umgehend in einen unruhigen Schlaf. Unbequemlichkeit, Übermüdung, zu viel Kaffee und die rastlose Beschäftigung mit sechs Morde verhinderten einen wirklich erholsamen Schlummer. Mistral taumelte zwischen Traum und Realität auf der Suche nach einem Mörder ohne Gesicht, der methodisch vorging und Ordnungsfanatiker war.
Das Schrillen des Weckers weckte ihn schließlich. Sein Nacken fühlte sich steif an, und sein Herz pochte wild. Er vertrat sich kurz die Beine, brachte Haare und Kleidung in Ordnung und suchte in seinen Schubladen nach seinem Elektrorasierer. Als er in schließlich fand, war der Akku leer. Unglücklicherweise erinnerte er sich nicht mehr, wo er das Ladekabel hingeräumt hatte, und verzichtete notgedrungen auf die Rasur.
Um zehn nach neun erschien Dalmate mit seinem Team und zwei Männern in Handschellen. Dalmate nahm Mistral beiseite.
»Der Unternehmer hat uns keinerlei
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