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Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller

Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller

Titel: Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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bin ich immer zu Hause, und das ist alles.«
    »Was können Sie mir über die Seneca-Zitate sagen?«
    Brial riss die Augen auf, blickte seinen Anwalt an und zuckte die Schultern.
    »Keine Ahnung, was Sie meinen. Ich bin Gärtner und wie man so sagt ›Mädchen für alles‹. Seneca? Keine Ahnung, wer das sein soll.«
    »Ich habe Ihre Personalien studiert. Sie haben die Schule nach der zehnten Klasse verlassen. Also müssten Sie schon einmal von Seneca gehört haben.«
    »Kann schon sein, aber ich war nie ein guter Schüler. Sonst wäre ich sicher nicht Gärtner geworden.«
    Mehr hatte Brial nicht zu sagen. Da saß er nun im Büro eines Untersuchungsrichters, der ihn ohne Weiteres wieder vor das Schwurgericht schicken konnte, wo ihm vielleicht eine lebenslange Haftstrafe drohte, doch das schien ihn nicht im Geringsten zu berühren. Sein Anwalt rieb sich die Nase und studierte seine Notizen.
    »Welche Indizien, abgesehen von den erklärbaren DNA-Spuren, besitzen Sie in diesem Fall noch, Herr Vorsitzender?«
    Nicolas Tarnos musste selbst zugeben, dass es Lücken in seiner Beweisführung gab.
    »Mir ist klar, dass die Vorfälle in Paris ein neues Licht auf den Fall werfen, Herr Anwalt. Ehe ich jedoch eine Entscheidung fälle, werde ich mich mit dem Untersuchungsrichter in Paris in Verbindung setzen und prüfen, ob sich die beiden Mordserien wirklich so sehr ähneln und ob die Morde dort nicht vielleicht nur das Werk eines Trittbrettfahrers sind. Allerdings werde ich meine Entscheidung nicht allein darauf gründen.«
    »Ich werde Ihnen innerhalb der nächsten Stunden einen Antrag auf Haftprüfung vorlegen, Herr Vorsitzender.«
    Die Sekretärin warf einen Blick auf die Uhr. Es war halb sieben. Der Untersuchungsrichter trotzte dem Anwalt, der ganz sicher war, seinen Mandanten freizubekommen, noch immer. Um 19.00 Uhr schrieb sie den letzten Satz des Anwalts mit. Zwanzig Minuten später stieg sie in ihr Auto. Sie dachte an Brial. Seit zwanzig Jahren arbeitete sie für die Justiz und glaubte fest daran, dass der Dicke schuldig war. Doch die letzten Beweise schienen sich in Luft aufzulösen.

A USZUG AUS DEN T RAUM - UND T AGEBÜCHERN DES J.-P. B.
    1985
    Zwanzig. Heute werde ich zwanzig Jahre alt. Angeblich ist es das schönste Alter im ganzen Leben. Auf jeden Fall werde ich mich an diesen Geburtstag erinnern, auch wenn ich keine einzige Kerze ausgepustet habe. Heute Abend habe ich den Kerl wiedergesehen, dem ich damals das Dach seiner Angeberkarre zerfetzt habe. Er hat mich nicht wiedererkannt. Kein Wunder! Immerhin habe ich ihm meine zerschnittene Fresse zu verdanken. Ich habe ihn vorbeigehen lassen, ohne mich umzudrehen. Dann aber, nach etwa hundert Metern, habe ich mich doch umgedreht und bin ihm gefolgt. Einfach so, aus Langeweile. Er schlenderte friedlich und selbstsicher vor sich hin. Zunächst ging er in ein Delikatessengeschäft und kaufte ein paar teure, raffinierte Kleinigkeiten, Wein und Champagner. Anschließend erstand er im Blumenladen einen kleinen, bunten Strauß. Pfeifend und lebenslustig setzte er seinen Weg fort. Er ging in eine Tiefgarage. Das war ein Fehler! Ganz ehrlich, ich hatte nichts weiter vor, bis er diese Tiefgarage aufsuchte. In diesem Moment allerdings kam ich ins Grübeln. Es war stärker als ich. Als er sein Auto aufschloss – es war wieder ein Cabrio –, stiegen plötzlich unangenehme Erinnerungen in mir hoch. Ich war nur noch einen Meter von ihm entfernt.
    Wahrscheinlich hat er mein Spiegelbild in einer Scheibe gesehen – jedenfalls wirbelte er herum wie ein junger Spund. Eine wirklich tolle Kehrtwendung. Er musterte mich mit einem krank wirkenden Blick, und ich spürte, dass ihm der Arsch auf Grundeis ging. Tiere können Angst riechen und gehen zum Angriff über. Bei mir ist es ähnlich. Ich ahnte seine Angst und hatte Lust, ein wenig mit ihm zu spielen, zumal er mich mit meiner geschundenen Fresse nicht erkannte.
    »Du stehst also immer noch auf Cabrios«, sagte ich. Da hat er kapiert. Ich konnte es in seinen Augen sehen. Scheiße, das tat gut!
    Das Rasiermesser lag bereits in meiner linken Hand und bewegte sich ganz von allein, als wäre es lebendig. Und dann ging alles plötzlich ganz schnell. So schnell, dass ich mich fast ein bisschen geärgert habe. Im Bruchteil einer Sekunde durchtrennte die Klinge seine Halsschlagader. Ich sprang rasch zur Seite, denn das Blut schoss aus seinem Hals wie aus einem Geysir. Er ließ alles fallen, um sich die Kehle zu halten. Die Flaschen

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