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Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller

Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller

Titel: Die dunkle Seite des Spiegels - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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zersplitterten am Boden. Drei Minuten später war er tot. Er war über seinen Delikatessen und den Glasscherben zusammengebrochen. Überall war Blut. Außer auf den Blumen. Die hatten niemandem etwas getan, und sie sollten nicht in einer Tiefgarage sterben. Sie brauchen Wasser, Sonne und Luft. Blumen, Pflanzen und die Natur habe ich immer geliebt. Ich nahm die Blumen also mit. Ein Typ mit einem Blumenstrauß wird nie und nimmer angehalten. Niemals. Mit einem Blumenstrauß in der Hand sieht man nicht kämpferisch aus. Und schon gar nicht wie ein Mörder. Ich bin zwar jetzt zwanzig, aber mit meiner verunstalteten Fresse steht keine Frau auf mich. Keine einzige hätte Blumen von mir angenommen – außer meiner Mutter. Deshalb habe ich ihr den Strauß geschenkt. Ich habe vorher im Schein einer Laterne noch einmal genau nachgesehen, ob wirklich kein Blut daran klebte. Aber da war nichts.
    Meine Mutter nahm die Blumen schweigend an. Ich habe sie beobachtet. Sie schien sich zu fragen, ob es ein Traum war. Seither hält sie mich endgültig für verrückt. Wir haben gegessen und uns unterhalten. Irgendwie ging der Abend vorbei. Später ging ich zu Bett und bekam einen schrecklichen Anfall. Den schlimmsten, den ich je hatte. Ich dachte, ich müsste sterben. Meine Mutter war ausgegangen. Darüber war ich ganz froh. Leute liefen durch mein Zimmer, ohne mich anzusehen. Andere warfen die Möbel um, um mein Rasiermesser zu bekommen. Ich habe versucht, sie daran zu hindern, aber sie taten, als gäbe es mich gar nicht. Der Spinner mit dem Cabrio hielt sich den Hals mit beiden Händen; das Blut quoll zwischen seinen Fingern hindurch. Die ganze Nacht hindurch ging es so. Ich war fix und fertig, weil ich in meinem Albtraum gegen diese Leute kämpfen musste. Gegen Morgen kehrte meine Mutter zurück. Sie roch nach Alkohol. Sie sah, in welchem Zustand ich war, sagte aber nichts. Ich habe mich im Bad eingeschlossen. Der Blick in den Spiegel verursachte mir entsetzliche Angst. Ich erkannte mich nicht mehr. Ich sah nur einen Fremden mit hagerem Gesicht und irren Augen, der aus der Nase blutete. Seither wollte ich mein Gesicht nie mehr im Spiegel sehen. Übrigens habe ich kein Spiegelbild mehr.
    Nach einer Stunde kam ich wieder aus dem Bad. Ich musste mich an der Wand abstützen, um nicht umzukippen. Todmüde brach ich auf dem Bett zusammen und schlief sofort ein. Erst um acht Uhr abends wurde ich wieder wach. In der Küche saß meine Mutter an ihrem Stammplatz und aß zu Abend. Sie schwieg mich an. Gegenüber hatte sie für mich gedeckt. Neben meinem Platz lag eine gefaltete Zeitung, in der ein Artikel rot umrandet was, sodass ich ihn keinesfalls übersehen konnte. Er berichtete von dem »schrecklichen« Mord an einem Immobilienmakler, der »barbarisch« in einer Tiefgarage »abgeschlachtet« worden sei. Ich habe keine Miene verzogen und den Artikel bis zum Ende durchgelesen. Die beiden letzten Zeilen waren besonders deftig. Polizei und Reporter hatten die letzte halbe Lebensstunde des Opfers rekonstruiert. Er hatte in einem Delikatessenladen eingekauft und Blumen für seine Frau besorgt. Die Blumen hatte man nicht wiedergefunden. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, aber ich hatte eine unbändige Lust, zu lachen.
    »Du holst jetzt deinen Krempel und verschwindest«, sagte meine Mutter, ohne die Stimme zu erheben. »Ich will dich nie mehr hier sehen. Nie mehr.« Die letzten beiden Worte betonte sie sehr deutlich, damit ich sie auch wirklich verstehe. Aber ich hatte auch so kapiert.
    Ich habe Brot und Käse gegessen und bin dann mit einem Rucksack aus dem Haus gegangen, der zwei Kilo wog und zwanzig Jahre meines Lebens mit meiner Mutter enthielt. Ein Kilo für je zehn Jahre. Meine Hefte waren an einem anderen Ort versteckt; um sie machte ich mir keine Sorgen. Meine Mutter zündete sich auf der anderen Seite des Hauses eine Zigarette nach der anderen an. Sie wollte mich nicht weggehen sehen. Ich bin in ihr Zimmer gegangen, habe die Sperrholztüren ihres Schrankes eingetreten und mir endlich den dicken, braunen Umschlag geholt, der mit einer Schnur verschlossen ist und den Brief sowie andere Dinge enthält. Als ich das Haus schließlich endgültig verließ, habe ich ohne mich umzudrehen nach Tom gepfiffen. Ich hatte ihn schon länger nicht gesehen. Dieser Hund macht wirklich, was er will.
    Ich war noch keine zweihundert Meter weit gekommen, als ich meine Mutter aufheulen hörte wie eine Irre. Wahrscheinlich hatte sie den geplünderten

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