Die dunkle Seite des Weiß
beeilen, denn die Chancen, dass ich nicht überlebe, stehen gut.«
Mir verschlug es für einen Moment die Sprache. Die Aura, die Richard Wilms umgab, war so kühl, dass ich fröstelte. Irgendetwas stimmte nicht mit diesem Mann, doch ich konnte nicht ausmachen, was es war.
Mirella straffte sich. »Und das käme Ihnen gelegen? Wenn Sie sterben würden? Warum? Weil man Sie ansonsten noch für etwas haftbar machen könnte, was in den Heilstätten passiert ist?«
Wilms lächelte matt. »Das klingt gut, oder? Wie einfach dann alles wäre.« Sein Lächeln erstarb. »Gehen Sie. Ich habe Ihnen nichts zu sagen. Nicht jetzt und auch nicht später.« Damit wandte er den Blick wieder zum Fenster und schloss die Augen.
Mirella bedeutete mir mit einem Nicken, ihr zu folgen.
Draußen auf dem Krankenhausflur fasste ich sie am Arm. »Warum lassen wir ihn so einfach davonkommen?«
»Weil er krank ist. Und weil wir nicht das geringste Druckmittel gegen ihn in der Hand haben. Immerhin war er zur anzunehmenden Tatzeit bereits hier in der Klinik.«
Ich schüttelte den Kopf. »Und was, wenn er stirbt? Nur mal angenommen, der hängt wirklich in der Sache mit drin, dann –«
»Bleibt dieser Fall wohl ungelöst, ja«, sagte Mirella. Ihr prüfender Blick traf mich. »Geht es dir wirklich nur darum, Jakob? Um diesen Fall?«
Ich stieß einen leisen Fluch aus. »Nein, der Fall ist mir vollkommen schnuppe. Ich mache mich einfach gerne lächerlich in einer Akademie voller Genies …« Ich fiel für einen Moment in Mirellas graue Herbsthimmelaugen. Dann atmete ich tief durch. »Ich habe Albträume, Mirella. Seit Jahren. Seit diesen – merkwürdigen TBC-Fällen. Und ich werde das nicht mehr los. Nur deshalb habe ich mich auf diesen neuen Fall eingelassen. Man könnte sagen, ich therapiere mich selbst.«
Mirella schwieg einen Moment, ohne mich aus den Augen zu lassen. Dann glitt ein weicher Ausdruck über ihre Züge. Sie blickte den langen Gang hinunter. Ein Pfleger stand hinter dem verglasten Empfangstresen und notierte etwas auf einem strahlend weißen Bogen. Mirella zwinkerte mir zu, drehte sich um und ging zu ihm hinüber.
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte sie und schenkte dem Mann ihr hinreißendstes Lächeln. »Ich bin die Nichte von Richard Wilms, er liegt auf Zimmer 814. Ich habe heute Morgen erst erfahren, dass er im Krankenhaus ist, und wollte ihn besuchen. Er schläft gerade. Können Sie mir sagen, wie es um ihn steht?«
Der Pfleger musterte sie prüfend. »Dazu bin ich nicht befugt, tut mir leid. Sie werden mit einem Arzt sprechen müssen. Oder aber einfach warten, bis Ihr Onkel aufwacht.«
Mirella seufzte leise. »Das kann ich leider nicht, ich muss direkt zur Arbeit zurück. Könnten Sie einem Arzt Bescheid geben, dass ich hier bin? Vielleicht habe ich ja Glück und es hat gerade jemand ein paar Minuten Zeit für mich?«
Der Pfleger taute unter ihrem Lächeln sichtlich auf.
»Natürlich, ich kümmere mich sofort darum.«
»Dankeschön«, hauchte Mirella.
Der Mann errötete leicht, drehte sich dann um und hastete den Gang hinunter.
Mirella wartete, bis er um die Ecke gebogen war, dann wirbelte sie zu mir herum. »Ein Hoch auf die Personalpolitik. Kaum noch Leute auf den Stationen. Los, schnell. Gib mir ein Zeichen, wenn jemand kommt.« Sie drückte die Klinke zur verglasten Kabine herunter. Die Tür öffnete sich ohne Probleme. Mirella schnaubte verächtlich. »Was für Stümper. Wieso baut man solche Käfige, wenn man sie dann sperrangelweit offen lässt.«
Während ich den Gang im Auge behielt, durchsuchte Mirella den Computer nach Informationen über Richard Wilms. Es dauerte nicht lange, dann hörte ich sie leise durch die Zähne pfeifen. Sekunden später stand sie wieder neben mir und zog die Tür zur Kabine leise hinter sich zu. In ihren Augen lag ein amüsiertes Funkeln. »Ich denke, wir haben jetzt, was wir brauchen.«
»Also, raus mit der Sprache. Was hast du entdeckt?«, fragte ich gespannt, als wir nebeneinander im Fahrstuhl standen und langsam wieder in Richtung Erdgeschoss schwebten. Mirella verzog die Mundwinkel zu einem Lächeln. Sie genoss es sichtlich, mich auf die Folter zu spannen.
»Etwas Hochinteressantes«, sagte sie, warf einen Blick in den wandfüllenden Spiegel und strich eine Locke hinter das Ohr. »Richard Wilms ist hier wegen einer Prostatahyperplasie.«
Ich stöhnte leise auf. »Eine vergrößerte Prostata nennst du interessant? Soweit ich weiß, gibt es kaum etwas Gewöhnlicheres in
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