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Die dunkle Seite des Weiß

Die dunkle Seite des Weiß

Titel: Die dunkle Seite des Weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yalda Lewin
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nahm die übereinandergeschlagenen Beine vom Tisch und erhob sich. »Mach dir keine Hoffnungen. Für Mondscheinnächte ist definitiv jemand Anderes zuständig. Und Katherine hätte da sicher auch noch ein Wörtchen mitzureden. Oder betrügst du deine jetzige Freundin ganz offen, nachdem du mir gegenüber nicht den Mumm hattest, ehrlich zu sein?«
    »Ich dachte, du willst nicht darüber reden.«
    »Tu ich auch nicht.«
    »Sie ist nicht meine Freundin.«
    »Klar. Deshalb kommt sie Samstagmorgens halbnackt aus deinem Bad. Für wie blöd hältst du mich eigentlich?«
    Ich machte einen Schritt auf Mirella zu und blieb so dicht vor ihr stehen, dass unsere Körper sich fast berührten. »Viel interessanter ist doch die Frage, was du am Samstagmorgen bei mir zu suchen hattest. Findest du nicht?«
    Ich sah, wie sich eine hektische Röte in Mirellas Gesicht ausbreitete. Ärgerlich versuchte sie, sich an mir vorbei in Richtung Tür zu drängen. »Das tut nichts zur Sache.«
    Ich packte Mirella am Arm und hielt sie fest. »Doch, ich finde, das tut es.«
    Sekundenlang starrten wir uns in die Augen. Es fiel mir schwer, Mirellas Blick zu deuten. Wütend war sie und verletzt. Aber da war noch etwas. Etwas, das ich nicht sehen sollte. Und das mich genau deshalb umso mehr interessierte.
    »Wo war eigentlich Ernesto?«, fragte ich betont sanft. »Wusste er, dass du zu mir wolltest? Und überhaupt, was für eine bescheuerte Idee war das? Frühstück mit dem verhassten Ex?«
    »Ich hasse dich nicht«, sagte Mirella, schüttelte mich ab und rauschte mit hoch erhobenem Kopf zur Tür. »Noch nicht. Aber wir sind ganz nah dran.«
    Der Schnee vom Wochenende war inzwischen der wärmer werdenden Aprilsonne zum Opfer gefallen und hatte das gesamte Waldgelände um die Heilstätten herum in sumpfigen Morast verwandelt. Mirella und ich kämpften uns zum Haupteingang vor. Während der Fahrt hatten wir kein Wort gewechselt, doch die Spannung zwischen uns schien sich elektrisch aufzuladen und stärker zu werden mit jedem Augenblick.
    Vor der Freitreppe blieb ich stehen und zückte meine mitgebrachte Taschenlampe. »Und, bist du bereit für ein bisschen Gruselatmosphäre im Keller?«
    Mirellas Gesicht blieb unbewegt. »Ich bin nicht scharf drauf, aber was sein muss, muss sein. Die Sache mit den Blumen ist einfach zu merkwürdig.«
    Ich runzelte die Stirn und ließ den Blick über das Gelände schweifen. »Wo ist eigentlich der Wachschutz? Sollte nicht jemand hier sein?«
    »Das Gelände ist riesig« erwiderte Mirella schulterzuckend. »Man kann nicht erwarten, dass ein einzelner Mann alles mitbekommt. Genau das ist ja das Problem. Und ehrlich gesagt ist es mir lieber, wenn wir ungestört sind.«
    Sie stieß die Tür auf, die sich mit einem lauten Knarren öffnete. Nur Sekunden später kamen wir zum Treppenhaus, das in den Keller führte. Wieder die zerfallenen Stufen, die wir schon mit Manuel hinuntergestiegen waren. Und wieder die Dunkelheit, die alles zu verschlucken schien, was sich in sie hinein begab.
    »Dann mal los«, sagte ich und ging mit festen Schritten die Treppenstufen hinunter. Mirella folgte mir.
    Die Dunkelheit umfing uns wie ein Mantel. Ich konnte Mirella dicht neben mir spüren. Die Wärme, die von ihr ausging. Nahm das leise Geräusch ihres Atems wahr. Und für einen kurzen Augenblick genoss ich das Gefühl, ihr nah zu sein wie schon lange Zeit nicht mehr, während zugleich die Ungewissheit an meinem Herz nagte wie ein unermüdliches Tier.
    Ich atmete ein. Atmete aus.
    Dann knipste ich die Taschenlampe an.
    Das Licht jagte flüchtige Schatten an den Wänden der Kellergänge entlang. Für einen Moment glaubte ich, einen kühlen Hauch im Nacken zu spüren, den Atem einer neugierigen Seele, die sich mit uns auf die Reise machte. Dann war diese Empfindung fort.
    Mirella musterte den Boden vor uns. »Wie ein Schweizer Käse«, sagte sie und deutete auf die tiefen Löcher, die uns schon beim ersten Besuch hier unten aufgefallen waren. Sie hob einen kleinen Kiesel vom Boden auf, ging an den Rand eines der Schächte und ließ den Stein hineinfallen. Es dauerte einen Moment, bis in ferner Tiefe ein hohles Geräusch erklang.
    »Wasser«, sagte Mirella leise. »Da unten steht Wasser in den Gruben.«
    Ich spürte einen Schauer auf der Haut. Die Vorstellung, im Dunkeln in eines dieser Löcher zu stürzen, war unangenehm genug. Aber der Gedanke daran, in der Enge der Gruben zu ertrinken, schnürte mir die Kehle zu. Vor allem, wenn man bedachte,

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