Die dunkle Villa: Ein Fall für Alexander Gerlach (Alexander Gerlach-Reihe) (German Edition)
kann. Dazu hat sie dieses Riesenhaus geerbt. Allein von dem, was das wert war, kann man ganz schön lange leben.«
»So riesig fand ich das Haus nun auch nicht.«
»Vielleicht haben Sie nicht richtig hingeguckt?«
Ich überlegte, was ich noch fragen könnte, aber es wollte mir nichts mehr einfallen. Die Katze starrte mich immer noch aus dem Dämmerlicht an und machte mich allmählich nervös. Über uns dröhnten die Bässe, dass das Geschirr im alten Küchenbüfett klirrte. Mein Blick schweifte umher. Chaos, überall. Schmutz, verkrustete Teller, manche schon angeschimmelt, leere Flaschen. Hauptsächlich Whisky, aber auch Cognac, Korn. Rosalie Jordan schien nicht wählerisch zu sein, was ihre Betäubungsmittel betraf. Wie konnte ein Mensch so leben und nicht verzweifeln? Auf dem obersten Brett eines Standregals voller verstaubter Kochbücher, Plunder und Vergessenem entdeckte ich eine Pillenschachtel, halb verdeckt von einem schmutzigen Lappen.
»Atrip…«, entzifferte ich. Der Rest war wegen des Lappens nicht zu sehen. Der verkrachten Schauspielerin war mein Blick nicht entgangen.
»Tja«, sagte sie mit schiefem Grinsen und hob wieder einmal die knochigen Schultern. »Atripla. Bisher hilft’s noch.«
»Das … das konnte ich natürlich nicht …«
Ihr Lächeln kippte weg. »Ich sag doch, von AIDS haben wir damals noch nichts gewusst. Manche hat’s erwischt, andere nicht. Manche haben eine Krankenversicherung, andere nicht. Kein Grund zum Heulen. Wir Schauspieler sind eine zähe und leidensfähige Spezies.«
Ich schluckte. Was sagt man in einer solchen Situation? »Das tut mir wirklich leid«, sagte ich.
»Muss Ihnen nicht leidtun. Meine Schuld. Mein Problem.«
»Wer könnte noch etwas von damals wissen?«, fragte ich, als ich mich wieder gefasst hatte. »Hat es noch andere Männer gegeben, die mit Frau Hergarden …? Jemand hat mir etwas von einem Musiker erzählt …«
»Klar hat’s die gegeben«, erwiderte sie, nun wieder in der alten Bissigkeit. »Ich kann Ihnen aber bestimmt keine komplette Liste liefern. Das hätte wahrscheinlich nicht mal Vicky selber gekonnt.« Sie lachte, als hätte sie einen schmutzigen Witz erzählt. Die Katze war auf einmal verschwunden, obwohl ich hätte schwören können, dass sie vor einer Sekunde noch da gewesen war. »Aber warten Sie, einer fällt mir ein. Wie hat der noch …« Ihre Stirn wurde kraus, das linke Auge schmal. »Ein Musiker. Nils. Nils Irgendwas.«
»Ein Orchestermusiker?«
»Trompete, wenn ich mich nicht irre. Auf jeden Fall Blech. Ein Adonis. Nie wieder habe ich so einen schönen Mann gesehen.«
»Mehr wissen Sie nicht über diesen Nils?«
»Anfangs habe ich dumme Kuh geglaubt, er ist schwul.« Wieder grinste sie ihr schiefes Grinsen. »Und wie ich begriffen habe, dass ich falschliege, da hatte Vicky ihn sich schon geschnappt.«
»Sie haben keine Idee, wie der Nachname …?«
Jetzt sah sie mir wieder ins Gesicht. Ihr Blick war mit einem Mal fast freundlich. »Allzu viele Nilse wird’s nicht geben unter den Trompetern dieser Welt, was?« Abrupt verfinsterte sich ihre Miene wieder. »Haben Sie schon mit der Kranich geredet? Simone?«
Ich nickte.
»Und?«
»Sie konnte mir nicht viel sagen.«
»Wundert mich nicht – blöd, wie sie nun mal ist. Was macht sie heute?«
»Sie ist in Bochum am Theater.«
»Große Rollen?«
»Wohl eher nicht.«
Meine Antwort schien sie zu befriedigen. »Hübsche Fresse, aber dumm wie Bohnenstroh. Das hat sie ja auch immer gespielt: dumme Weiber. Was anderes konnte die nicht.«
»Und Frau Holland?«
»Die hätte gut sein können. Aber ich hab’s ja schon gesagt: Der ist es einfach zu gut gegangen.«
»Klingt alles ziemlich schrecklich, was Sie vom Theaterleben erzählen«, sagte ich, als ich mich müde lächelnd erhob. »Nichts als Neid und Intrigen und Eifersucht …«
»Theater?« Sie musterte mich von unten her, als hätte ich etwas unfassbar Dummes gesagt. In ihrem Mundwinkel hing ein wenig Speichel. »Theater ist das Größte und Schönste, was es gibt auf dieser Welt! Theater, das ist Glück und Leid und Drama! Alles abwechselnd echt oder gespielt, wobei man das manchmal gar nicht so genau auseinanderhalten kann. Theater, das ist Leben im Quadrat. Wenn bloß die lieben Kollegen und Kolleginnen nicht wären …«
Rosalie Jordan reichte mir die Hand zum Abschied.
Ich ergriff sie, obwohl sie schmutzig war.
»Ich hab sie gut leiden können, die Vicky«, sagte sie leise, als wir an der Tür
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