Die dunkle Villa: Ein Fall für Alexander Gerlach (Alexander Gerlach-Reihe) (German Edition)
waren. »Sie hat nicht immer nur an sich gedacht wie die meisten anderen. Aus dem Osten hat sie gestammt, aus Leipzig, wenn ich mich nicht täusche. Wie sie mit ihren Eltern rüber ist, da war sie gerade mal fünfzehn. Vicky hat das Soziale im Blut gehabt. Ich kenne das, mein Vater war auch Kommunist, bis er mit siebenundachtzig gestorben ist. Vicky hat sich in der Gewerkschaft engagiert, hat Plakate geklebt und Flugblätter verteilt, während die anderen an ihren Karrieren gefeilt haben.«
Von oben wummerte immer noch Musik, die im Treppenhaus noch deutlicher zu hören war als in der Küche der alten Schauspielerin. Wenige Schritte bevor ich die Haustür erreichte, wurde sie von außen aufgestoßen, und drei junge Männer – alle in bunten Jeans und wetterfesten Jacken – kamen mir entgegen. Zusammen schleppten sie zwei Bierkästen und einige Plastiktüten. Ihrem fröhlichen Gespräch entnahm ich, dass sie sich auf eine Party freuten, die demnächst steigen würde. Sekunden später trat ich aufatmend in die kalte, klare Februarluft hinaus.
17
Nils. Trompeter. Na wunderbar.
Wahrscheinlich hatte der Mann die Musik vor zwanzig Jahren an den Nagel gehängt oder war nach Amerika ausgewandert oder hatte geheiratet und den Namen seiner Frau angenommen. Andererseits hatte Rosalie Jordan nicht ganz unrecht: Nils war wirklich kein häufiger Name, und den Vornamen wechselt man in Deutschland nicht. Allzu viele gute Trompeter gab es vermutlich auch nicht.
Frustriert machte ich mich auf den Weg zurück zur Direktion. Inzwischen war meine Mittagspause zu Ende gegangen. Ich war hungrig, was ich für ein gutes Zeichen hielt, denn Appetit ist ein Zeichen für Gesundheit. Außerdem regnete es wieder, was kein gutes Zeichen war, denn ich hatte meinen Schirm im Büro gelassen.
»Sie werden sich noch den Tod holen!«, lautete denn auch die herzliche Begrüßung meiner heute wieder einmal nicht so gut gelaunten Sekretärin. »Aber Sie wollen es ja so.« Dann murmelte sie noch etwas, was klang wie: »Männer!«
»Frau Walldorf«, erwiderte ich, während ich den nassen Mantel neben meinen trockenen Schirm hängte. »Vielleicht nehmen Sie zur Kenntnis, dass eine Gehirnerschütterung nichts mit Erkältung und Viren zu tun hat.«
»Wie Sie meinen«, sagte sie, ohne mich anzusehen. »Sie sind der Chef, und Chefs haben bekanntlich immer recht.«
»Und deshalb könnten Sie ruhig ein bisschen netter zu mir sein.«
Schweigend zog sie eine Schublade ihres Schreibtischs auf, kramte darin herum, knallte einen kleinen Reiseföhn vor mich hin.
»Ist das nett genug?«
Vorsichtshalber verzog ich mich in mein Büro und schloss die Tür hinter mir.
»Männer!«, hörte ich sie noch einmal sagen. Dieses Mal laut und verständlich.
Das Internet kannte nur einen Nils Wülker, der zwar Trompeter, aber zu jung war, um der zu sein, den ich suchte. Auch die Sekretärin des städtischen Theaters war dieses Mal ratlos. Beim Einwohnermeldeamt war man am ratlosesten und glaubte anfangs sogar an einen Scherzanruf. Schließlich erhob ich mich wieder und öffnete die Tür zum Vorzimmer.
»Sönnchen, wollen wir uns nicht wieder vertragen? Wir sind doch erwachsene Menschen.«
»Wenn Sie meinen.«
Immer noch weigerte sie sich hartnäckig, mir in die Augen zu sehen.
»Das mit dem Föhn war wirklich sehr nett von Ihnen.«
»Sie haben ihn ja nicht mal benutzt!«
»Ich hatte erst noch was zu erledigen.«
»Ach so.«
»Wollen Sie gar nicht wissen, was?«
»Nein.«
Ich setzte mich auf den Stuhl neben ihrem Schreibtisch, um auf Augenhöhe mit ihr zu sein. Es wollte mir jedoch nicht gelingen, ihren Blick einzufangen.
»Ich entschuldige mich für alles, was ich Ihnen jemals angetan habe …«
Sie schwieg. Blinzelte. Und Augenblicke später hielt ich zu meiner Verblüffung meine von Schluchzern geschüttelte Sekretärin im Arm und hoffte, dass jetzt niemand hereinplatzte. Nach einiger Zeit beruhigte sie sich wieder. Schniefte und hustete noch ein wenig. Dann sprang sie unvermittelt auf.
»Kaffee?«
»Wäre super.«
»Ich brauch jetzt auch einen.«
Mit hängenden Schultern hantierte sie an der Kaffeemaschine. Dann saßen wir zusammen, nippten stumm an unseren Bechern. Ich an einem Cappuccino, sie an etwas, das sie Café au lait nannte und in das sie drei Löffel Zucker rührte.
»Und jetzt erzählen Sie endlich.«
»Wir haben uns so gestritten.«
»Worum?«
»Weiß ich nicht mehr.«
»Dann rufen Sie ihn an.«
»Im Leben nicht.«
»Er muss
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