Die dunklen Engel (German Edition)
einem Bachbett. Er hatte ein breites, flaches, intelligentes Gesicht; ein beeindruckendes Gesicht von solcher Klugheit, dass jeder Grundeigentümer diesen Mann einer Stimme für würdig halten würde, ob er bestochen wurde oder nicht. Wären die Augen nicht gewesen, hätte man sein Gesicht als gutaussehend bezeichnen können. Doch sie waren von einer so unnatürlichen Milde, dass sie einem Angst einjagen konnten; dunkle Augen in flachen Höhlen. Die Augen eines stillen, wachsamen Mannes, zugleich von furchtbarer Unerbittlichkeit. Valentine Larke vergaß und vergab seinen Feinden nichts. Jetzt jedoch lächelte er und wies auf den Hauptraum des Schreins. «Pass auf!»
Chemosch wandte sich der strahlend erleuchteten Kammer zu, in der er die junge Frau getötet hatte.
Er sah nichts Ungewöhnliches, doch dann hörte er tief im Innern des Gebäudes eine Kette rasseln, ein Knarren wie von der Winde eines Ziehbrunnens, und zu seiner Verwunderung sah er, dass der schimmernde Raum immer dunkler wurde. Ein Schatten schien die Wände herabzufließen wie Blut, wie eine künstliche Dämmerung, ein Schatten, der über die Statuen flackerte und immer dunkler wurde, bis mit schrecklicher Endgültigkeit das letzte Flackern des Kerzenscheins erlosch. In wenigen Sekunden war es in dem riesigen Raum vollkommen dunkel.
Nur die Kerzen auf dem schwarzen Steintisch brannten noch. Die Finsternis hatte die marmorne Kammer verschluckt.
Marchenoir lachte über die Miene des Neulings. «Der kleine Palast voller Tricks des duc fou !» Er wies auf die dunkle Kuppel. «Nur ein eiserner Rollladen, der sich vor den Kerzen schließt. Dagon hat unten den Hebel umgelegt. Eine trickreiche Konstruktion, damit der verrückte Kerl ‹Es werde Licht› rufen konnte. Ein Dutzend Bauern mussten dann an der Kette ziehen!» Lachend schüttelte er den Kopf. «Und wir mussten den verrückten Scheißkerl anbeten. Hier drunter gab es einen Tunnel, sodass er plötzlich in unserer staunenden Mitte erscheinen konnte. Den haben sie zugemauert, als der Kerl gestorben ist. Aber ich nehme an, wir waren schon beeindruckt.» Er warf seine Zigarre auf den dunklen Marmorfußboden, dann wandte er sein hartes, brütendes Gesicht dem Neuling zu. «Ich beneide dich, Chemosch.»
«Mich?»
«Ich habe gehört, Lady Campion ist eine Perle von hohem Wert. Es heißt, sie sei schön.» Er ging zu dem schwarzen Tisch und zündete sich eine weitere Zigarre an. Der Zigeuner, der zwischen Marchenoir und Larke Botschaften überbrachte, hatte dem französischen Revolutionär erzählt, Lady Campion sei schöner als ein Traum. Marchenoir blies Rauch in den großen, dunklen Raum. «Wirklich sehr schön.»
«Eine Schande», sagte Larke trocken.
«Schande?», fragte Marchenoir.
«Nun, der einfachste Weg, sie am Heiraten zu hindern», sagte der Engländer leise, «ist der, sie unverheiratbar zu machen. Wenn du ihr Gesicht verunstaltest, Chemosch, und ihren Körper, wer will sie dann noch?» Er trank einen Schluck Wein. «Lass sie vergewaltigen. Heure einen Mann an, der die Pocken hat, sie zu vergewaltigen und zu entstellen und sie ein bisschen um den Verstand zu bringen.» Er lächelte. «Siehst du, wie leicht deine Aufgabe ist?»
Marchenoir lachte. «Schick sie zu mir.»
«Du hättest sie gern, was?» Larke lächelte. «Eine aristokratische Jungfer, auf Gedeih und Verderb dir ausgeliefert.»
Marchenoir lachte. «Ich bin der Mörder der Aristokraten.» Er sagte es geradeheraus, prahlerisch, dann trat er an den Rand der dunklen Kammer und schaute in die Kuppel hinauf, wo der eiserne Rollladen sich vor den Kerzen geschlossen hatte. «Die sind anders. Sie haben weiße, weiche Haut, Haut wie Seide. Sie kreischen.» Er lachte wieder, und sein Lachen hallte durch die Kammer des duc fou . «Ich hätte sie gerne. Gott, ich hätte sie wirklich gerne.» Er wandte sich um, und sein breites, mächtiges Gesicht starrte den Neuling an. «Wenn es möglich ist, Chemosch, wenn es dir in dieser großen, gottverdammten Welt möglich ist, dann bring sie zu mir.» Er unterbrach sich, dann dröhnte die Stimme, die Paris gegen den König und Frankreich gegen seine Zivilisation aufgehetzt hatte, durch die marmorne Leere. «Verunstaltet oder voller Pockennarben, unversehrt oder übel zugerichtet, Chemosch.» Die nächsten vier Worte schrie er so langsam und deutlich, dass das Echo des einen Wortes verklang, bevor das nächste erklang: «Bring … sie … zu … mir!»
4
Die frühen Winterwochen waren hart
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