Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)
mit Plastiktüte. Hausfrau mit Kinderwagen. Mann im Mini-Kilt …
»Ich wüsste mal gerne, was dem morgens so durch den Kopf geht«, sagte Logan, während Watson den Gang einlegte und den Wagen ein paar Zentimeter weit rollen ließ.
»Sie meinen Roadkill?«, erwiderte sie. »Na ja, aufstehen, tote Tiere von der Straße kratzen, Mittagessen, noch mehr tote Tiere von der Straße kratzen …«
»Nein, den meine ich nicht.« Logan tippte mit dem Finger ans Autofenster. »Ich meine den da. Ob der morgens aufsteht und sich denkt: ›Ich hab’s! – Ich zieh mich so an, dass beim kleinsten Windstoß jeder meinen Hintern sehen kann‹?«
Wie durch ein Zauberwort erfasste in diesem Moment eine Bö den Mini-Kilt, hob ihn an und gab den Blick auf jede Menge weiße Baumwolle frei.
Watson zog eine Augenbraue hoch. »Na ja«, meinte sie und zog rasch an einem metallicblauen Volvo vorbei, »wenigstens ist seine Unterhose sauber. Da muss sich seine Mama keine Sorgen machen, falls er vom Bus überfahren wird.«
»Auch wieder wahr.«
Logan beugte sich vor, schaltete das Autoradio ein und drehte so lange am Suchknopf, bis er Northsound, Aberdeens privaten Radiosender, gefunden hatte. Constable Watson zuckte zusammen, als ein Werbespot für Doppelglasfenster in breitestem Aberdonian aus dem Lautsprecher dröhnte. Irgendwie schafften es diese Typen, rund siebentausend Wörter und ein billiges Jingle in weniger als sechs Sekunden zu packen. »Du lieber Gott«, sagte Watson und verzog ungläubig das Gesicht. »Wie können Sie sich bloß diesen Mist anhören?«
Logan zuckte die Achseln. »Ist immerhin ein Lokalsender. Mir gefällt’s.«
»Dieses Provinzgedudel.« Watson trat aufs Gas, um noch über die Ampel zu huschen, ehe sie auf Rot sprang. »Radio One. Das ist ’n Sender. Northsound kann mir gestohlen bleiben. Außerdem sollte das Radio sowieso aus sein – was ist, wenn wir einen Funkspruch reinkriegen?«
Logan tippte auf seine Armbanduhr: »Elf Uhr – Zeit für die Nachrichten. Lokalnachrichten für Leute von hier. Kann nie schaden, sich anzuhören, was im eigenen Revier so läuft.«
Auf den Werbespot für Doppelglasfenster folgte einer für eine Autofirma in Inverurie, gesprochen in Doric , dem nahezu unverständlichen Aberdeener Dialekt. Dann gab es eine Reklame für das Jugoslawische Ballett und eine weitere für eine neue Frittenbude in Inverbervie. Und dann kamen die Nachrichten. Das meiste war der übliche Quatsch, aber eine Meldung weckte Logans Interesse. Er rückte auf seinem Sitz vor und drehte den Ton lauter.
»… hieß es aus gut informierten Kreisen. Und am Bezirksgericht von Aberdeen wird der Prozess gegen Gerald Cleaver fortgesetzt. Der aus Manchester stammende Sechsundfünfzigjährige wird beschuldigt, während seiner Tätigkeit als Pfleger am Kinderkrankenhaus von Aberdeen über zwanzig Kinder sexuell missbraucht zu haben. Vor dem Gerichtsgebäude hatte sich eine aufgebrachte Menschenmenge versammelt, die Cleaver mit Schmähungen überhäufte, als er unter massivem Polizeischutz eintraf …«
»Ich hoffe, sie brummen ihm die Höchststrafe auf«, sagte Watson, während sie quer über den schraffierten Kreuzungsbereich fuhr und durch eine kleine Seitenstraße davonschoss.
»… Die Eltern des kleinen David Reid sind heute mit Beileidsbekundungen überhäuft worden, nachdem die Leiche des ermordeten Dreijährigen gestern am späten Abend am Ufer des Don aufgefunden worden war …«
Logan ließ den ausgestreckten Zeigefinger vorschnellen und schalte das Radio mitten im Satz aus. »Gerald Cleaver ist ein mieser kleiner Drecksack«, sagte er und beobachtete dabei einen Radfahrer, der in Schlangenlinien quer über die Straße fuhr und einem Taxifahrer fluchend den Stinkefinger zeigte. »Ich habe ihn im Zusammenhang mit den Vergewaltigungen und Morden in Mastrick vernommen. Er gehörte eigentlich gar nicht zu den Verdächtigen, aber er stand auf unserer Liste der ›fragwürdigen Typen‹, also haben wir ihn uns trotzdem vorgeknöpft. Hände wie eine Kröte, ganz kalt und feucht. Hat die ganze Zeit an sich rumgefingert …« Logan schauderte, wenn er daran zurückdachte. »Aber diesmal kommt er nicht so leicht davon. Vierzehn Jahre bis lebenslänglich, in Peterhead.«
»Geschieht ihm recht.«
Peterhead Prison. Dorthin schickten sie die Sexualtäter. Die Vergewaltiger, die Pädophilen, die Sadisten, die Serienmörder … Leute wie Angus Robertson. Leute, die vor den anderen Gefangenen geschützt werden
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