Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)
Bestätigung, dass ihre Nase nicht gebrochen war –, wartete der Wachhabende bereits mit der Nachricht auf ihn: Logan sollte sich im Büro des Inspectors melden, und zwar sofort!
Als Logan eintrat, stand Insch mit dem Rücken zur Tür, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Das Deckenlicht spiegelte sich auf seiner Glatze. Der Inspector starrte durchs Fenster in den immer noch unablässig fallenden Schnee hinaus. »Was zum Teufel haben Sie sich dabei gedacht?«, fragte er.
Logan rieb sich wieder den Hals und erklärte, er habe versucht, den Mörder von George Stephenson zu fassen.
Insch seufzte. »Sergeant, Sie haben einen alten Mann bewusstlos geschlagen. Im Krankenhaus heißt es, sein Zustand sei kritisch. Was ist, wenn er stirbt? Können Sie sich vorstellen, was dann morgen in den Zeitungen los ist? ›Polizist erschlägt hilflosen Rentner!‹ Was zum Henker haben Sie sich dabei gedacht?«
Logan räusperte sich und wünschte sofort, er hätte es nicht getan. Es tat weh. »Ich … Ich habe in Notwehr gehandelt.«
Insch fuhr herum. Sein Gesicht war puterrot. »Angemessener Einsatz von Gewalt heißt nicht, dass Sie einen alten Mann einfach ver…« Er brach ab, als sein Blick auf den Ring von Blutergüssen um Logans Hals fiel. »Was haben Sie denn da gemacht? Hat Watson Ihnen die Knutschflecken verpasst?«
»Mr. MacDuff hat versucht, mich zu erwürgen, Sir.«
»Haben Sie ihn deshalb geschlagen?«
Logan nickte und zuckte wieder zusammen. »Das war die einzige Möglichkeit, ihn daran zu hindern.« Er fischte einen transparenten Plastikbeutel aus der Tasche und warf ihn mit zitternder Hand auf DI Inschs Schreibtisch. »Damit wollte er mich aufschlitzen.«
Insch nahm das Messer, drehte es hin und her und inspizierte es durch die Plastikhülle. »Schön zu sehen, dass die alten Traditionen nicht aussterben«, meinte er schließlich. Dann sah er Logan direkt in die Augen. »Sie werden wahrscheinlich vom Dienst suspendiert, bis die Untersuchung des Vorfalls abgeschlossen ist. Wenn Desperate Doug auf die Idee kommt, Anzeige zu erstatten …« Er zuckte die Achseln. »Sie wissen ja, wie die Lage hier inzwischen ist. Wir können nicht noch mehr negative PR gebrauchen.«
»Er hätte mich umgebracht …«
»Sie haben einen Rentner bewusstlos geschlagen, Logan. Warum, das spielt keine Rolle. Das ist das Einzige, was die sehen werden. Polizeibrutalität der übelsten Sorte.«
Logan traute seinen Ohren nicht. »Sie lassen mich also einfach im Regen stehen?«
»Sergeant, ich tue hier gar nichts. Die Dienstaufsicht lässt mich nicht. Ich habe in dieser Sache nichts mehr zu sagen.«
Das Soko-Büro war leer bis auf Logan und seinen Papierkram. Er saß im Halbdunkel, vor sich auf dem Tisch einen Becher Kaffee und eine angebrochene Tüte Maltesers. Und versuchte nicht zu zittern.
Das Messer.
Logan fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Er hatte schon lange nicht mehr an jenen Abend denken müssen. Wie er dort auf dem Dach des Hochhauses gelegen hatte, halb bewusstlos, während Angus Robertson auf ihn einstach, immer und immer und immer wieder … Desperate Doug hatte das alles schlagartig zurückgebracht.
Logan hatte inzwischen sämtliche Formulare ausgefüllt und ausführlich erklärt, warum er einen Rentner krankenhausreif geschlagen hatte. Er hatte eine unterhaltsame halbe Stunde mit Inspector Napier zugebracht, der ihn mit seinen Blicken durchbohrt, ihm Suggestivfragen gestellt und keinen Zweifel daran gelassen hatte, was als Nächstes passieren würde. Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zurückzulehnen und darauf zu warten, dass er suspendiert wurde. Eine Woche zurück im Dienst, und schon war seine Karriere endgültig im Eimer. Und es war noch nicht einmal seine Schuld!
Seufzend blickte er zu Geordie Stephensons totem Gesicht auf. Das Schlimmste war, dass es nun noch sehr viel schwerer sein würde, einen Schuldspruch für Desperate Doug zu erreichen. Die Geschworenen würden einen armen alten Mann sehen, der von der Polizei verprügelt worden war und dem nun der Mord an einem Edinburgher Gangster angehängt werden sollte. Wie konnte dieser alte Herr einen Menschen getötet haben? Er war doch so gebrechlich! Der Staatsanwalt würde wohlweislich die Finger davon lassen.
Logan ließ den Kopf sinken, bis er von dem Papierstapel abrutschte. »Mist.« Er schlug mit der Stirn auf den Tisch und skandierte dazu im Takt: »Mist, Mist, Mist, Mist …«
Das schrille Gedudel seines Handys unterbrach ihn
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