Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)
inneren Verletzungen eingeliefert worden, die wahrscheinlich davon herrührten, dass jemand ihm wiederholt auf den Bauch gesprungen war. Er war sofort in den OP gebracht worden, aber diesmal hatte der Mob gründliche Arbeit geleistet. Man rechnete nicht damit, dass Roadkill überleben würde.
Logan wartete im Krankenhaus, weil er nicht recht wusste, wo er sonst hingehen sollte. Er hatte nicht vor, ins Präsidium zu fahren und dort seine offizielle Suspendierung abzuwarten. Wenn er hier blieb und sein Handy ausgeschaltet ließ, konnte er wenigstens so tun, als ob es nicht passierte.
Vier Stunden später erschien eine Krankenschwester, die Logan mit ernster Miene durch ein Labyrinth von Fluren zur Intensivstation eskortierte. Der Arzt, der auch Desperate Doug behandelt hatte, stand an Roadkills Bett und studierte ein Krankenblatt.
»Wie geht es ihm?«
Der Arzt blickte von seinem Klemmbrett auf. »Sie schon wieder?«
Logan betrachtete die übel zugerichtete, bandagierte Gestalt. »Ist es so schlimm, wie es aussieht?«
»Nun …« Ein Seufzer. »Er hat einen Hirnschaden erlitten. Es wird noch eine Weile dauern, bis wir Genaueres wissen. Vorläufig ist sein Zustand stabil.«
Sie standen schweigend da und beobachteten Roadkills flache Atmung.
»Hat er eine Chance?«
Der Arzt zuckte die Achseln. »Allem Anschein nach haben wir die inneren Blutungen noch rechtzeitig stoppen können. Eines kann ich Ihnen aber mit Sicherheit sagen: Er wird keine Kinder mehr zeugen. Beidseitiger Hodenriss. Aber er wird es überleben.«
Logan zuckte zusammen. »Was ist mit dem Mann, der heute Mittag eingeliefert wurde? Mr. MacDuff?«
»Nicht gut.« Er schüttelte den Kopf. »Gar nicht gut.«
»Wird er wieder gesund?«
»Das kann ich Ihnen leider nicht sagen. Arztgeheimnis. Sie müssten schon Mr. MacDuff selbst fragen.«
»Okay. Das mache ich.«
Der Arzt schüttelte erneut den Kopf. »Heute nicht mehr. Er ist ein alter Mann, und er hat heute eine Menge durchmachen müssen. Es ist fast Mitternacht. Lassen Sie ihn schlafen.« Er hob den Blick und sah Logan mit traurigen Augen an. »Glauben Sie mir: Er wird Ihnen nicht weglaufen.«
Draußen hatte es aufgehört zu schneien, und der Himmel klarte auf: eine tiefschwarze Kuppel, das Funkeln der Sterne getrübt von den Lichtern der Stadt. Logan trat aus der Notaufnahme hinaus in die eisige Nacht.
Ein Rettungswagen mit blitzendem Blaulicht fuhr im Schritttempo rückwärts an den Eingang heran.
Logan wandte der Szene den Rücken zu und stieg in seinen Wagen. Sein Atem ließ die Frontscheibe im Nu beschlagen, während er sein Handy aus der Tasche zog und es wieder einschaltete. Jetzt konnte er sich der unerfreulichen Wahrheit ja stellen – um diese Zeit würde ihn bestimmt niemand mehr anrufen.
Er hatte fünf Nachrichten. Vier waren von Colin Miller, der unbedingt wissen wollte, was mit Roadkill passiert war. Die fünfte aber war von Constable Watson. Sie hatte nur mal fragen wollen, ob er vielleicht – natürlich nur, falls er nichts Besseres zu tun hatte – Lust hätte – aber es wäre auch völlig okay, wenn er Nein sagte –, also, ob er vielleicht Lust hätte, mit ihr ins Kino zu gehen, oder vielleicht auch nicht ins Kino, sondern einfach nur auf ein Bier, weil sie schließlich so einen harten Tag hinter sich hatten … Und falls er Lust hätte, irgendwas – na ja, irgendwas zu machen, ob er sie dann vielleicht zurückrufen könnte? Die Nachricht war um zwanzig Uhr hinterlassen worden. Um die Zeit hatte Logan sich gerade hingesetzt, um auf das Ergebnis von Roadkills OP zu warten.
Hastig drückte er die Rückruftaste. Es war schon spät, nach Mitternacht, aber vielleicht noch nicht zu spät …
Es läutete und läutete und läutete. Schließlich teilte ihm eine blecherne Stimme mit, dass der Teilnehmer zurzeit leider nicht erreichbar sei und er es zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal versuchen solle.
Zum zweiten Mal an diesem Tag stieß er eine Flut von Obszönitäten aus und untermalte seine Worte, indem er mit dem Kopf rhythmisch gegen einen harten Gegenstand schlug. Das Lenkrad gab jedes Mal ein leises Boing von sich, wenn seine Stirn mit dem Kunststoff kollidierte.
Es war kein sehr guter Tag gewesen.
Als die Scheiben endlich frei waren, ließ Logan den Motor aufheulen und brauste schlitternd über den Krankenhausparkplatz, seine Laune so finster wie die Nacht. Mit zusammengebissenen Zähnen stieg er auf die Bremse, als der Wagen auf die Ausfahrt zusegelte, und
Weitere Kostenlose Bücher