Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)
Er hockte sich auf die Schreibtischkante und lauschte Garys Beiträgen zu dem Gespräch.
»O ja, da haben Sie völlig Recht. Entsetzlich, ganz entsetzlich. … Nein, das glaube ich nicht, Sir.« Er kritzelte die Worte »Aufgeblasenes kleines Arschloch« auf seinen Notizblock und versah diese mit einer Reihe kleiner Pfeile, die auf die zerquetschte Gestalt im Auto zeigten.
»Ja, Sir, ich werde dafür sorgen, dass alle Streifenwagen nach dem Täter Ausschau halten. Wir werden der Angelegenheit oberste Priorität einräumen.« Er legte den Hörer sorgfältig auf die Gabel, ehe er hinzusetzte: »… sobald der Oberbürgermeister hier aufkreuzt und ’ne Runde Blowjobs spendiert.«
Logan nahm den bekritzelten Notizblock und studierte die heitere Szene. »Wusste ja gar nicht, dass in Ihnen ein Künstler steckt, Gary.«
Gary grinste. »Das war der gerissene Sandy. Jemand hat ihn mit einem Eimer Blut übergossen. Hat ihn einen ›beschissenen Vergewaltigerfreund‹ genannt und sich aus dem Staub gemacht.«
»Das bricht mir schier das Herz.«
»Übrigens, Sie haben ein paar Nachrichten. Ein gewisser Mr. Lumley hat in den letzten zwei Stunden ungefähr sechs Mal hier angerufen. Wollte wissen, ob wir seinen Sohn gefunden hätten. Der arme Kerl klang ziemlich verzweifelt.«
Logan seufzte. Die Suchtrupps hatten schon Feierabend gemacht. Bis zum nächsten Morgen gab es nichts, was sie noch tun konnten. »Haben Sie DI Insch erreicht?«
Garys Hängebacken zitterten, als er vehement den Kopf schüttelte. »Keine Chance.« Er sah auf die Uhr. »Die Vorstellung ist erst in … gut fünf Minuten zu Ende. Sie wissen doch, wie er es hasst, angerufen zu werden, wenn er gerade auf den Brettern steht, die die Welt bedeuten. Hab ich Ihnen eigentlich schon erzählt …«
Die Tür zum Empfangsbereich flog auf, knallte gegen die Wand und prallte zurück. DI Insch kam hereingestürmt, eine Lawine in Gold und Scharlachrot, mit Schnabelschuhen an den Füßen, die auf dem Fliesenboden quietschten. »McRae!«, brüllte er, und sein dick geschminktes Gesicht glühte vor Zorn. Er trug ein angeklebtes Ziegenbärtchen samt ausladendem Schnurrbart, und als er sich beides abriss, blieben hochrote Flecken um seinen Mund zurück. Ein weißer Rand an der Stirn zeigte, wo sein Turban gesessen hatte. Die Deckenbeleuchtung spiegelte sich in seiner schweißglänzenden Glatze.
Logan fuhr hoch und nahm Haltung an. Er wollte sich gerade nach dem Erfolg der Vorstellung erkundigen, doch DI Insch kam ihm zuvor. »Was zum Henker haben Sie sich eigentlich bei diesem Alleingang gedacht, Sergeant?« Er nahm seine mit Clips befestigten Ohrringe ab und knallte sie auf den Tisch. »Sie können doch nicht …«
»Richard Erskine. Wir haben ihn gefunden.«
Unter der Schminke wich alle Farbe aus dem Gesicht des Inspectors.
»Was?«
»Er ist nicht tot. Wir haben ihn gefunden.«
»Sie verarschen mich doch!«
»Nein. Wir haben eine Pressekonferenz anberaumt, sie beginnt in zwanzig Minuten. Die Mutter ist auf dem Weg ins Präsidium.« Logan trat einen Schritt zurück und musterte den fassungslosen DI in seiner Kostümierung als Räuber im Märchenspiel. »Das wird sich im Fernsehen großartig machen.«
Der Mittwochmorgen begann viel zu früh. Viertel vor sechs, und das Telefon klingelte ihn aus dem Tiefschlaf.
Halb blind und orientierungslos wühlte sich Logan unter der Decke hervor und versuchte den Wecker auszuschalten. Es gelang ihm jedoch nur, das Ding vom Nachttisch zu schubsen. Er hob ihn auf, warf einen Blick auf die Uhrzeit, fluchte und ließ sich wieder aufs Bett sinken, wobei er sich mit einer Hand das Gesicht rieb, um seine Lebensgeister zu wecken.
Das Telefon läutete immer noch.
»Schnauze!«, fuhr er es an.
Das Telefon läutete unverdrossen weiter.
Logan schleppte sich ins Wohnzimmer und riss den Hörer von der Gabel. »Was ist?«
»Na, Sie haben ja entzückende Telefon-Manieren« , sagte eine bekannte Stimme mit Glasgower Akzent. »Also, was ist, machen Sie mir jetzt die Tür auf oder was? Ich frier mir den Arsch ab hier draußen!«
»Was?«
Das Ding-Dong der Türglocke entlockte Logan einen weiteren saftigen Fluch.
»Augenblick«, sagte er ins Telefon, ehe er es auf den Couchtisch legte und aus seiner Wohnung wankte, um zur Haustür hinunterzugehen. Draußen war es noch stockfinster, aber der Regen hatte irgendwann in der Nacht aufgehört. Jetzt war alles mit einer Reifschicht überzogen, die im gelben Schein der Straßenlaternen glitzerte.
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