Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)
ersten Mal unter eine Dusche stellt, flüchtet sofort wieder, denn das Wasser stinkt, weil es schwefelhaltig ist. Überhaupt Wasser: Es gibt viel heißes Wasser auf der Insel, was sich hervorragend für die Energiegewinnung eignet, es gibt einen wunderbaren Wasserfall, heiße Quellen, Geysire genannt, nach deren Show man die Uhr stellen kann. Es gibt eine alte Versammlungsstätte, an der früh so eine Art Demokratie probiert wurde, Thingvellir genannt, und dort ein Wasserbecken, in dem man die Mütter unehelich geborener Kinder ertränkte. Was mit den Vätern dieser Kinder passierte, ist nicht überliefert, wahrscheinlich erhielten sie eine Rüge.
Das also war Island, das wusste man, und neuerdings auch, wie gewaltig sie sich verspekuliert hatten, Schulden angehäuft, zwielichtige Finanzgeschäfte getätigt, mit dem üblichen Ergebnis, dass die Bürger für die Gier ihrer Politiker und Banker haften sollten, sich aber, oh Wunder, weigerten es zu tun. Ein Pleitestaat, der einem dennoch sympathisch war.
Als ich Hermine endlich verließ, schickte sich die Sonne schon an, andere Teile des Globus zu beglücken. Island ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Was war denn schon in diesem Kopf? Vorurteile, nichts als angelesenes Halbwissen, Standardfakten, die vielleicht richtig waren, aber natürlich nicht die ganze Wahrheit. Man müsste sich aus erster Hand informieren, was gar nicht so schwierig sein konnte, denn Isländern sagte man auch nach, überall auf der Welt zu finden zu sein, sogar in unserer kleinen unbedeutenden Stadt. Sie lebten dort zumeist als Studentinnen und Studenten, später als Künstler, Designer oder Opernsänger. Ich beschloss, das »Café Noir« aufzusuchen, unsere Antwort auf Greenwich Village und St. Germain, eine früher sehr schmuddelige, jetzt aber hochhippe Lokalität, in der sich alles traf, was Künstler sein wollte oder links oder kritisch oder einfach nur gelangweilt war. Sie lag praktisch auf meinem Weg und außerdem verlangte mein Körper ein Entgiftungsbier. Ich kenne den Wirt flüchtig, so wie ich die meisten Menschen dieser Stadt irgendwie flüchtig kenne, einen asketischen, 24 Stunden am Tag in pechschwarzes Tuch gehüllten Mann Ende Vierzig, von dem man sich erzählte, er habe die Existenz des Wirtes der des Künstlers vorgezogen, was einen tiefen Blick in seine Seele erlaubte. Ich schenkte ihn mir.
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Ich hatte mich schon längere Zeit nicht mehr im »Café Noir« aufgehalten, weil ich, wohl nicht ganz unbegründet, vermutete, dort mit einem Hausverbot belegt zu sein. Bei meinem letzten Aufenthalt war es zu gewissen Unstimmigkeiten, moderne Kunst betreffend, gekommen und Ma letzke, der Wirt, hatte mir mit einem sorgfältig polierten und wie zufällig unter der Theke hervorgeholten Baseballschläger bedeutet, mich schleunigst vom Acker zu machen. Was ich auch, eine unbezahlte Zeche zurücklassend, tat.
An einer Wand des Lokals hing ein großer Flachbildschirm und hatte an besagtem Abend in Endlosschleife die Performance einer ortsansässigen Künstlerin gezeigt. Sie saß dabei an einem Tisch, knackte Walnüsse, warf die Kerne achtlos auf den Boden und aß die zersplitterten Schalen. Ein Kunstgenuss, gewiss, allerdings nichts, was mich stundenlang prächtig unterhielt, zumal wenn im ersten Programm gerade das Frauenfußball-Länderspiel Deutschland gegen Italien ausgestrahlt wird und man wenigstens einmal im Leben sehen möchte, wie Deutschland Italien fußballmäßig mit fünf Nägeln ans Kreuz hämmert. Also verlangte ich, zugegeben leicht angeheitert, nach Sport, erntete, wie nicht anders zu erwarten, die ersten »Banause!«-Rufe und den Hinweis, »die Erika macht hier eine hochpolitische Performance und du Heini willst Weiberärsche sehen.« Was sehr deutlich machte, was man in Künstlerkreisen von kickenden Frauen hielt.
Jedenfalls hatte sich das Ganze verbal hochgeschaukelt, ich verteidigte das Recht der Frau auf die Blutgrätsche, außerdem seien die nicht alle lesbisch und es würde mich sowieso mal interessieren, wie viel schwule Fußballprofis es gebe, was mir überraschenderweise den Vorwurf der Schwulenfeindlichkeit einhandelte und von der anwesenden und nicht überparteilichen Künstlerin Erika ein minutenlanges Lamento über geile Macker und wie sie unter dem Vorwand der Frauenverteidigung die Geschlechterrollen festklopften. Und so weiter. Dann hatte Maletzke den schon erwähnten Baseballschläger hervorgeholt, mir kurz gezeigt und somit das beste Argument in die
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