Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)
heutzutage Ehen nicht mehr aus Liebe, sondern aus Hass – und dann passten die beiden perfekt. Sie wurden immer lauter.
»Deine bucklige Verwandtschaft kann mich mal! Arrogante Bagage, große Sprünge, nix im Beutel.« Sie rotzte zurück: »Dafür hab ich wenigs tens noch welche! Deine is lieber tot als auf einem Planeten mit dir rumzulaufen!« »Deine Witze waren auch schon mal besser. Aber der beste bist du immer noch selber!« Gleich würde sie heulen, sie kämpfte schon mit der Gesichtsmuskulatur, wartete nur noch darauf, dass auch die Tränenproduktion mitzöge. Schnüffel kam ihr zuvor, bellte – auf Deutsch – »Zahlen!« in den Raum und stand auf. Offenbar war nicht er derjenige, der die Zechen begleichen sollte. Seine Frau legte einen Schein auf den Tisch, stand ebenfalls auf, ihrem zürnenden Gemahl hinterher, die unfreiwillige Statisterie an den anderen Tischen atmete auf. Vika machte ein diskretes Zeichen zur Bedienung.
Sie gingen jetzt schweigend nebeneinander. Dann begann Schnüffel auf seine Begleiterin einzureden, die schüttelte den Kopf, was den Mann dazu brachte, noch mehr zu reden, seinen Arm um ihre Hüfte zu legen, sie schüttelte ihn ab, sagte etwas, das ihn zum Schweigen brachte. An einem Kiosk blieb Schnüffel stehen, erstand eine deutsche Zeitung, blätterte sie im Weiterlaufen durch. Lachte plötzlich auf, hielt seiner Frau das Papier unter die Nase. Etwas näher ran, dachte Vika, vielleicht kann ich was aufschnappen. Unwahrscheinlich, dass sie mich bemerken. Noch unwahrscheinlicher, dass ich ihm damals aufgefallen bin bei der Tagung.
Was jetzt passierte, ging sehr schnell, zu schnell. Ein Auto kam ihnen entgegen, hielt auf der Höhe des Paares, die Beifahrertür wurde von innen geöffnet – und die Frau sprang hinein. Der Wagen fuhr, die Tür noch geöffnet, an und beschleunigte und war weg, viel zu schnell auch für Vika, ein Kleinwagen, mehr konnte sie nicht erkennen. Schnüffel blieb mit geöffnetem Mund zurück, die Zeitung fiel ihm aus den Händen. Er ließ sie liegen. Schüttelte den Kopf und ging weiter. Interessant, dachte Vika. Mal gespannt, wo er hingeht.
In ein kleines Hotel, natürlich. Warten, dachte Vika und sah sich um. Kein Café in der Nähe, nicht gut. Es war nicht einmal kalt, ihre Füße begannen den noch zu gefrieren. Sie lief hin und her, auf und ab, verfluchte ihren Beruf, verfluchte Schnüffel. Aber, noch einmal: interessant. Eine Geschichte mit vielen neuen Fragezeichen.
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»Und dieser – äh – Schnüffel ist wer genau?« Kriesling-Schönefärb schwirrte der Kopf. Das hier war komplizierter als diese scheiß Eurobonds. Man klärte ihn auf. Aha. Der böse Stern am Schicksalsfirmament des verschwundenen Georg Weber, dem Bruder von Sonja – die, es sei nicht unerwähnt gelassen, einen mächtigen Eindruck auf Kriesling-Schönefärb machte. Aber hier waren überhaupt nur starke Frauen anwesend. Die drei ausländischen Künstlerinnen, von Kriesling-Schönefärb in seinem Kopfkino für einen furchtbar brachialen Sexfilm gecastet. Oh. Mein Gott.
So etwa musste es im Gehirn des Mannes wüten, stellte ich mir vor und wurde langsam müde. Helga hatte den Fernseher eingeschaltet, stumme Bilder liefen über unseren Köpfen, komische Typen mit Knollennasen saßen in Badewannen, in Berlin brannten Autos, in Tripolis brannte die Luft, an den Börsen brannten die letzten Sicherungen durch, in Erinnerung blieb jedoch allein die frohe Kunde, das schwedische Kronprinzesschen habe endlich ein zukünftiges Objekt für die internationale Klatschpresse in der Mache. Hörte man alles nicht, sah man, die Bilder quatschten genug. »Leck mich am Arsch«, rief Borsig aus, Schalke hatte tatsächlich ein Spiel gewonnen.
Über Island wurde nicht berichtet. »Nachrichtensperre«, informierte Kriesling-Schönefärb lapidar. »Wir versuchen unsere Leute dort zu erreichen, ist aber schwer. Handyempfang und Internet sind praktisch nicht mehr möglich, das mit den Brieftauben hat sich als unrealistisch erwiesen, aber ein U-Boot ist wohl unterwegs.« Man sei von den Ereignissen auf Island überrascht worden, führte Kriesling-Schönefärb weiter aus. Was uns wiederum nicht weiter überraschte. Es habe vage Hinweise auf eine Zunahme pantheistischer Aktivitäten auf Island gegeben, na ja, auch zu erwarten. Nischt wie Elfen und Trolle auf Island, früh christianisiert zwar, doch stets mit einem Touch von naturmystizistischer Religion. »Au weia«, stöhnte Oxana. Und dann: »Moment mal
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