Die Ehre der Königin
Sport zurück, und heute war sie nicht in der Stimmung, sich demütigen zu lassen.
In der Mitte der Matte trafen sie aufeinander. Beide nahmen Verteidigungsstellung ein. In Honors Gesicht war nichts, was an ein Lächeln erinnerte. Es war ruhig und unbewegt; Honors Wut und Frustration – die nichts mit Babcock zu tun hatten – waren gezügelt und fokussiert. Man mußte sie sehr gut kennen, um die Härte zu bemerken, die ihr aus den Augen sprach.
Die Kontrahenten zirkelten langsam und schwenkten dabei die Hände in trügerisch sanften, grazilen Mustern. Beide waren sie Trägerinnen des Schwarzen Gürtels in Coup de vitesse , dem Kampfsport, der vor achthundert Jahren auf Nouveau Dijon entwickelt worden war und orientalische wie westliche Elemente vereinte. Ein Flüstern ging durch die Turnhalle, als andere Trainierende sich umwandten, um den beiden zuzusehen.
Honor spürte das Publikum, aber nur mit dem Rand ihrer Sinne, die sie mit kristallklarer, katzenhafter Konzentration auf Babcock fokussierte. Coup de vitesse war vor allem ein aggressiver Angriffsstil, eine Kombination kühler Selbstkontrolle und alles riskierender Wildheit, darauf ausgelegt, von der größeren Reichweite und Körperlänge der ›Abendländer‹ zu profitieren. Der Sport war nicht zu stolz, von jeder Kampftechnik zu borgen – von Savate bis T’ai chi –, und weniger um Förmlichkeiten besorgt als um konzentrierte Gewalttätigkeit. Er bemühte sich weit weniger, die Kraft des Gegners gegen ihn zu wenden, als die meisten orientalischen Disziplinen und legte entsprechend mehr Gewicht auf den Angriff, auch wenn das manchmal auf Kosten von Lehrgerüst und Verteidigung ging.
Ein Klassenkamerad Honors aus dem Akademieteam für waffenlosen Kampf, der die Eleganz des Judo dem Coup vorzog, hatte es einmal damit verglichen, mit einem Zweihandschwert fechten zu wollen. Doch für Honor war der Coup wie geschaffen. Und wie jede Kampfsportart war er nichts, worüber man nachdachte, wenn man es tat – man handelte einfach und antwortete mit Attacken und Paraden, die man sich so lange antrainiert hatte, daß man nicht mehr bewußt registrierte, welchen Zug man vorhatte, bevor man ihn ausgeführt hatte. Und so versuchte Honor, nicht zu denken, nicht vorherzuahnen, was geschehen würde. Denn dazu war Babcock viel zu schnell, und sie kämpften auf Vollkontakt. Die, die sich ablenken ließ, würde dafür mit blauen Flecken bezahlen.
Sergeant-Major Babcock machte eine rasche Bewegung. Sie fintierte mit der linken Hand, und Honor wiegte sich zurück. Ihre rechte Hand schlug Babcocks rechtes Fußgelenk weg und blockierte so den blitzschnellen Tritt, der die Finte begleitet hatte. Mit der linken Handfläche wehrte sie den unmittelbar darauf folgenden Ellbogenstoß ab. Babcock wirbelte auf dem linken Fuß herum und benutzte den Schwung von Honors Abwehr, um sich noch schneller zu drehen. Sie rammte den rechten Fußballen auf die Matte, ihr linker Fuß kam zu einem weiteren blitzschnellen Tritt hoch, doch Honor war nicht mehr dort, wo der Sergeant-Major hingezielt hatte. Sie war an Babcocks Fuß vorbeigeglitten und schlug die Gegnerin mit stahlharter Faust in den Bereich gleich über den Nieren. Babcock grunzte. Honors anderer Arm schoß vor und umschlang den Feldwebel, um sie auf den Rücken zu werfen, doch Babcock ließ sich zusammensinken wie eine Marionette, der man die Schnüre durchtrennte. Sie löste sich aus Honors Griff und brachte mit einem Salto rückwärts die Beine wieder hoch. Ihre Füße umklammerten Honors Schultern und trieben sie zurück – Babcock sprang wie ein Gummiball hoch. Aber Hände mit der Kraft einer stählernen Schraubzwinge packten sie und schleuderten sie durch die Luft.
Babcock stürzte auf die Matte, rollte sich herum und schwang sich auf die Füße, bevor Honor sie erreicht hatte und packen konnte. Nun war es an Honor, zu grunzen, denn Babcocks steife Finger trafen sie hart unterhalb des Brustkorbs. Sie krümmte sich unter dem Schlag zusammen, hob aber instinktiv den rechten Arm und blockte den zweiten Teil der Schlagfolge ab. Sie schoß auf und rammte Babcock die Ellbogen zwischen die Rippen, so daß der Sergeant ins Schwanken geriet. Wilder Jubel durchfuhr Honor. Sie setzte in ihrem Angriff nach und nutzte den Vorteil ihrer längeren Arme und größeren Stärke ohne Hemmung, doch der Sergeant-Major konnte ebenfalls mit einigen Überraschungen aufwarten.
Honor erfuhr nie genau, aus welchem Grund sie plötzlich durch die Luft
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