Die Ehre der MacLaughlins (German Edition)
Joan stand langsam auf, wobei ihr Körper
auf das Heftigste protestierte. Sie ignorierte die Schmerzen und blickte sich
ebenfalls um. Es bestand kein Zweifel, dass sie sich in der Zukunft befanden –
der alte Brunnen war so sehr mit Unkraut überwuchert, dass man ihn nur finden
konnte, wenn man seine genaue Lage wusste.
Ewan
zog sich am Brunnenrand hoch und kletterte – so gut es seine enge Hose zuließ –
darüber. Dann umfasste er Joans Taille und zog sie mit Leichtigkeit, als sei
sie eine Puppe, über den Brunnenrand.
Beiden
ließen ihre Blicke schweifen. Die Umgebung hatte sich nicht sehr verändert,
aber den unbefestigten Weg nach Edinburgh gab es nun nicht mehr.
„Dort
muss sich der Weg befunden haben“, sagte Ewan und wies zu der Stelle, an der
das Fuhrwerk gehalten hatte. „Was meinst du – sollen wir uns sofort auf den Weg
in die Stadt machen?“
Sie
nickte bestimmt. „Wir wollen keine Zeit verlieren, nicht wahr? Zuerst müssen
wir eine Filiale der Bank of Alba suchen, damit wir an Geld kommen.“
„Wo
bekommen wir die Medizin?“
„In
der Apotheke.“ Sie nahm seine Hand, bevor sie sich in Bewegung setzten.
„Allerdings werden wir die Medikamente stehlen müssen, weil wir kein Rezept
vorweisen können.“
Er
lachte verhalten. „Am besten, wir bestehlen alle Apotheken in Edinburgh, damit
wir genug Vorrat haben.“
Sie
zwinkerte ihm zu. Nun, da die Gefahren der Reise und die dazugehörigen
Schmerzen überwunden waren, konnte sie wieder lachen; auch Ewan wirkte, als
befände er sich auf einer Vergnügungsreise.
Sie
wussten, dass sie noch einen langen Fußmarsch vor sich hatten, und insgeheim
war Joan neugierig, wie sich die Welt wohl verändert haben mochte seit 2008;
bisher hatte sie seit ihrer Ankunft nichts als Ackerflächen und Wiesen gesehen.
„Glaubst
du, dass sich die Welt nach deiner letzten Reise sehr verändert hat?“,
erkundigte sich Ewan auf halbem Wege und sah sich um. „Was machen wir, wenn es
Edinburgh nicht mehr gibt?“
Abrupt
blieb Joan stehen – daran hatte sie überhaupt nicht gedacht! Vielleicht hatte
es in der Zwischenzeit einen weiteren Krieg gegeben, der alles Leben
ausgelöscht hatte.
Sie
schluckte. „Irgendwo werden wir eine Apotheke finden, denn ...“ Sie stockte und
hob den Kopf. In der Ferne war plötzlich ein dumpfes Brummen hoch oben in der
Luft zu vernehmen.
„Was
ist das für ein Geräusch?“, wollte Ewan wissen und hob nun ebenfalls suchend
seinen Blick. „Ist das einer dieser silbernen Eisenvögel, die ich damals schon
einmal gesehen habe?“
Joan
nickte. „Sieh, da ist er – und er fliegt in die Richtung, in der Edinburgh sein
muss.“
„Also
gibt es noch Leben in Schottland.“ Mit gemischten Gefühlen sah Ewan dem
Flugzeug nach, wobei er sich fragte, was geschähe, wenn es abstürzen würde. Da
Joan jedoch unbeeindruckt weiterging, folgte er ihr. Er mochte diese moderne Zeit
nicht, die er selbst bereits einmal kurz gesehen hatte und von der seine Frau
ihm in den vergangenen Jahren immer wieder erzählt hatte.
Er
schloss zu Joan auf und nahm sie wieder bei der Hand; fast so, als habe er
Angst, sie könne ihm verloren gehen.
Schweigend
und voller banger Erwartungen schritten sie vorwärts. Irgendwann stießen sie
auf eine schmale Alphaltstraße, und sie gingen davon aus, dass sie nach
Edinburgh führte.
„Es
riecht hier komisch“, stellte Ewan kurz darauf fest und kräuselte seine Nase.
„So etwas habe ich noch nie gerochen.“
Auch
Joan schnupperte und stellte schnell fest: „An diesen Geruch erinnere ich mich
noch ... es ist der Geruch von Autoabgasen.“
Natürlich
wollte Ewan augenblicklich Genaueres wissen, und Joan erklärte es ihm. „Ich
hatte diesen ekelhaften Gestank fast vergessen und sehne mich schon jetzt
wieder nach der reinen Luft von Glenbharr.“
„Warum
benutzen es die Leute, wenn alle Lebewesen leiden müssen?“
„Weil
die Menschen in der neuen Zeit zu bequem sind, um zu Fuß zu gehen und schnell
von einem Ort zum anderen reisen wollen.“ Joan blieb stehen, reckte den Hals
und stellte sich auf die Zehenspitzen. „Ich glaube, da hinten ist Edinburgh,
ich kann schon die ersten Dächer erkennen.“
„Dann
lass uns rasch weitergehen, die Medizin stehlen und dann wieder zurückeilen.“
Joan
lachte. „So schnell geht das aber nicht. Zunächst müssen wir die Bank suchen,
bei der Robin das Gold deponiert hat. Und dann müssen wir eine geeignete
Apotheke finden, in der wir nachts einsteigen können. Oh
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